Autor*in: Saskia Dittrich

Musiker geht mit Instrument durch eine Reihe roter Toris
Bild: Monika Ritterhaus

Interview

Alessandro Cappone, als Sohn italienischer Eltern in Luxemburg geboren, gehört seit 1980 den 1. Violinen der Berliner Philharmoniker an. Die jetzige Tournee nach Südkorea und Japan ist voraussichtlich seine letzte große Konzertreise mit dem Orchester vor seinem Eintritt in den Ruhestand. In unserem Interview blicken wir mit ihm zurück auf seine musikalischen und menschlichen Begegnungen in Asien.

Herr Cappone, als Mitglied der Berliner Philharmoniker gehört das regelmäßige Reisen nach Asien zum Beruf. Wissen Sie selbst noch, wie oft Sie dort waren?

Nach dem 35. Mal habe ich aufgehört zu zählen. Es ist gar nicht leicht, hier den Überblick zu behalten, zumal ich in manchen Jahren gleich drei oder vier Mal in Asien war – nicht immer mit dem Orchester, sondern auch mit dem Scharoun Ensemble, den Philharmonischen Streicher-Solisten oder anderen Ensembles. In Japan habe ich außerdem oft unterrichtet. Gerade hier fühle ich mich fast heimisch. Sogar die Sprache wirkt auf mich nicht mehr fremd, obwohl ich natürlich nichts verstehe. Aber rein klanglich ist sie mir vertraut.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre allererste Japanreise?

Zum ersten Mal bin ich 1979 nach Asien gekommen, mit Herbert von Karajan als Dirigent. Mein Vater (Giusto Cappone, Anm. d. Red.) war damals Solobratscher im Orchester, und ich durfte als Aushilfe mitreisen. Es war eine sehr schöne Reise mit vielen Eindrücken. Mein Vater hatte bereits Freundschaften in Japan geschlossen, was auch mir zugutekam. Wir wurden zum Beispiel zum Essen eingeladen, wobei ich zum ersten Mal mit Sushi in Berührung kam. Ich weiß noch, wie wenig begeistert ich war, als ich diesen rohen Fisch vor mir sah. Heute liebe ich Sushi natürlich.

Besonders interessant wurde es, als wir nach den Konzerten in Tokio nach Peking weiterflogen – zum ersten Gastspiel des Orchesters in China überhaupt. Leider begann unser Aufenthalt mit einem dramatischen Zwischenfall. Nach der Landung erlitt ein Orchesterwart auf dem Rollfeld einen Herzanfall, worauf ein Kollege ins Flugzeug lief, um den mitreisenden Arzt zu holen. Als er auf die oberste Plattform der Gangway sprang, brach sie ab wie eine Falltür. Zwei Kollegen fielen in die Tiefe und zogen sich Knochenbrüche zu. Glücklicherweise passierte nichts Schlimmeres. Die Stimmung war dann erstmal gedämpft und ich weiß noch, wie wir mit klopfendem Herzen im Hotel ankamen.

Am nächsten Morgen gegen halb sechs bin ich dann von Gebimmel geweckt geworden. Was war da los? Das war kein Wecker. Ich habe also die Fensterläden geöffnet und sah tausende von Fahrradfahrer auf mich zukommen, alle in derselben blauen Kleidung. Das war ein unvergessliches Bild: Die halbe Stadt radelte zur Arbeit, und alle klingelten.

Marktplatz von Peking während des ersten China-Gastspiels 1979. Das Foto stammt von Gustav Zimmermann, damals Geiger bei den Berliner Philharmonikern.

Macht es Sie wehmütig, dass dies Ihre letzte Tour als Berliner Philharmoniker ist?

Wissen Sie, in Berlin ist es auch schön (lacht), ich bin gern zu Hause. Es gibt nostalgisch veranlagte Menschen, zu denen ich aber nicht gehöre. Ich habe unglaublich viel als Mitglied der Berliner Philharmoniker erlebt, jetzt ist die nächste Generation an der Reihe. Es ist schön zu wissen, dass es in unserem Orchester junge Musikerinnen und Musiker gibt, die hervorragend spielen und unsere Tradition fortsetzen. Das ist für mich das Wichtigste.

Die Berliner Philharmoniker reisen seit ihrem Bestehen. Warum sind diese Tourneen für das Orchester so wichtig?

Vor allem der kulturelle Austausch ist essenziell. Ohne Gastspiele hatte das ausländische Publikum früher kaum eine Möglichkeit, uns Mozart oder Beethoven spielen zu hören – in einer Zeit ohne Internet und Digital Concert Hall.

Und wir sehen ja, nicht zuletzt in unserer Karajan-Akademie: Es gibt so viele exzellente Musikerinnen und Musiker aus Japan, in China, in Korea. Ich möchte glaube, dass das zumindest ein wenig damit zu tun hat, dass das Orchester nach Asien geflogen ist und sich dort vor großem Publikum für die Sache der klassischen Musik eingesetzt hat.

Alessandro Cappone mit Dirigent Seiji Ozawa 2017 in Tokio
Alessandro Cappone mit Musiker*innen des Universitätsorchesters in Kawasaki 2017

Spüren Sie mehr Druck, wenn Sie auf Reisen spielen, weil das Publikum Sie viel seltener hört als in Berlin?

Der Druck ist immer der gleiche, denn man sollte für jedes Publikum mit der gleichen Intensität spielen. Aber das Konzertieren macht auf Reisen natürlich besonders viel Spaß. Man ist weit weg vom Alltag, es gibt nur die Kolleginnen und Kollegen, nur das Programm. Man spürt hier eine besondere Konzentration auf die Musik, die ich sehr mag.

In welches Land reisen sie am liebsten?

Besonders in Japan fühle ich mich sehr wohl. Auch weil das Publikum – wie in Korea – so konzentriert und höflich ist. Es klatscht zum Beispiel nie zwischen den Sätzen. Man merkt als Musiker auf der Bühne, dass sich die Menschen hier mit besonderer Hingabe auf die Musik einlassen.

Worauf freuen Sie sich am meisten bei der Tour?

Ich freue mich darauf, meine Freunde dort wiederzusehen, und ich freue mich auf die japanischen Konzertsäle – denn die sind wirklich alle fantastisch. Ich habe mich immer gefragt, wie das möglich ist: In jeder Kleinstadt, in der ich gespielt habe – auch mit Kammermusik-Ensembles –, gibt es einen riesigen Saal, der wunderschön ist und fantastisch klingt. Dorthin zurückzukehren, ist für mich eine große Freude.