Von: Nicole Restle
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2024: Premiere von Richard Strauss’ »Elektra« | Bild: Monika Rittershaus

Wenn sich der Vorhang nach der letzten Madama-Butterfly-Vorstellung senkt und am 21. April die Schlussakkorde von Beethovens Neunter verklingen, geht in Baden-Baden eine kleine Ära zu Ende: 13 Jahre lang bot die Kurstadt am Rande des Schwarzwalds den Berliner Philharmonikern eine Heimstätte für ihre Osterfestspiele. Ein Rückblick auf faszinierende Konzerte und Opernaufführungen. 

Im nächsten Jahr kehren die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko mit ihrem Festival zurück nach Salzburg, wo es 1967 von Herbert von Karajan gegründet worden war. In Salzburg hatten die Osterfestspiele der Berliner Philharmoniker eine jahrzehntelange Tradition. Wie kam es dazu, dass das Orchester dann 2013 nach Baden-Baden umzog? »Die Lage in Salzburg war schwierig«, erinnert sich Eva-Maria Tomasi, Geigerin und Mitglied des Orchestervorstands. »Die Philharmoniker wollten die Osterfestspiele programmatisch erneuern und alte Strukturen aufbrechen. Es gab aber diesbezüglich von Salzburg kein Entgegenkommen. So kam uns das Angebot aus Baden-Baden gerade recht. Unser damaliger Chefdirigent Sir Simon Rattle war überzeugt, dass wir dort Neues schaffen könnten und auch das Orchester war bereit für neue Wege.« 

2013: Mozarts »Zauberflöte« | Bild: Andrea Kremper

Spannende Opernproduktionen

Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Festspiele sollten moderner und offener werden, ohne auf Bewährtes zu verzichten. Das Herzstück des Festivals bildete nach wie vor eine Opernproduktion unter Leitung des Chefdirigenten, bei der die Philharmoniker in der sonst ungewohnten Rolle eines Opernorchesters zu erleben sind. Das 1998 eröffnete Festspielhaus in Baden-Baden mit seinen 2500 Plätzen und seiner modernen Bühnentechnik bot diesbezüglich ideale Möglichkeiten. Anders als in Salzburg sollte die Neuinszenierung jedoch nicht nur zweimal, sondern viermal aufgeführt werden, sodass sich die aufwendige Proben- und Produktionszeit mehr lohnt. Und weil in jedem Anfang ein gewisser Zauber liegt, entschieden sich die Philharmoniker und Simon Rattle in ihrer ersten Baden-Badener Saison für Mozarts Zauberflöte, ein Werk, das Possenhaftes und Philosophisches bühnenwirksam vereint. In der Inszenierung von Robert Carsen sangen Kate Royal und Pavol Breslik die Hauptpartien Pamina und Tamino. Simon Rattle führte in den folgenden Jahren bis zum Ende seiner Amtszeit weitere Highlights des Opernrepertoires auf: Puccinis Manon Lescaut mit Eva-Maria Westbroek in der Titelpartie (2014), Strauss’ Rosenkavalier mit Anja Harteros als Marschallin und Magdalena Kožená als Oktavian (2015), Wagners Tristan und Isolde (2016), Puccinis Tosca (2017) und Wagners Parsifal (2018).

Internationale Gäste

Auch die zweite Säule des Festivals – Konzerte mit Dirigenten sowie Solistinnen und Solisten von Weltrang – blieb bestehen. Die Programmatik der ersten Osterfestspiele Baden-Baden stand mit Mahlers Auferstehungssymphonie unter Rattles Leitung ganz im Zeichen des Neuanfangs. Der Geiger Maxim Vengerov und der Pianist Krystian Zimerman gastierten mit dem Violinkonzert und dem Ersten Klavierkonzert von Johannes Brahms, der ein großer Fan der Kurstadt war. Er besuchte Baden-Baden regelmäßig in den Sommermonaten und nutzte die Ruhe und Beschaulichkeit der Stadt zum Komponieren. 2014 brachten Rattle und das Orchester Peter Sellars‘ szenische Version von Bachs Johannes-Passion. Langjährige Weggefährten der Philharmoniker wie die Dirigenten Bernard Haitink, Riccardo Muti, Zubin Mehta, Andris Nelsons, Daniel Harding oder Tugan Sokhiev sowie die Solistinnen und Solisten Anne-Sophie Mutter, Sol Gabetta, Joyce DiDonato, Yo-Yo Ma, Janine Jansen, Pinchas Zukerman, Lang Lang oder zuletzt Diana Damrau, Lisa Batiashvili und Jan Lisiecki gehörten zu den Gästen des Festivals. 

Die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko auf der Bühne des Festpielhauses Baden-Baden. | Bild: Monika Rittershaus

Das große Extra: Philharmonische Kammermusik

Neu eingeführt wurde eine Reihe mit bis zu 15 Kammermusikkonzerten, in denen die Mitglieder des Orchesters die Vielfalt ihres kammermusikalischen Musizierens präsentieren konnten – solistisch, in neu entstandenen Formationen oder bereits bekannten Ensembles der Berliner Philharmoniker. Ganz Baden-Baden wurde sozusagen zum Klingen gebracht: an historischen Spielstätten wie dem Florentiner Saal im Casino Baden-Baden, dem Alten Ratssaal des Rathauses, im Kulturhaus LA8, dem Museum Frieder Burda oder der Stiftskirche. Oftmals bezog sich die Programmatik der Konzerte auf die aktuelle Opernproduktion. Und so wurde die Kammermusik der Mitglieder der Berliner Philharmoniker zu einem weiteren künstlerischen Pfeiler des Festivals. »Für uns ist es großartig zu erleben, wie gut sich das Orchester über die Jahre in dieser Stadtgemeinschaft verortet hat. Wir haben ein eigenes Publikum für diese Kammerkonzerte gewonnen, das die besondere Nähe zu den Musikerinnen und Musikern schätzt«, meint Andrea Zietzschmann, Intendantin der Berliner Philharmoniker.

Das Scharoun Ensemble Berlin | Bild: Monika Rittershaus

Education und Outreach

Einen größeren Raum nahm in Baden-Baden auch die Education-Arbeit des Orchesters ein: Im Rahmen der Akademie Musiktheater heute von der Deutschen Bank Stiftung adaptierte ein junges Opernteam in Kooperation mit dem Festspielhaus Baden-Baden die aktuelle Oper für Kinder. Es gab also eine Kleine Zauberflöte, eine Kleine Manon, einen Kleinen Rosenkavalier etc… Angehende Opernsängerinnen und -sänger erhielten die Möglichkeit, in einer von Musikern der Berliner Philharmoniker einstudierten Kammeroper erste Erfahrungen auf der Opernbühne zu sammeln, beispielsweise in Pauline Viardots Cendrillon oder Jacques Offenbachs La princesse de Trébizonde. In den letzten Jahren kam dann noch die Velostage dazu, ein transportables Podium, mit dem Musik direkt zu den Menschen gebracht werden kann. Mit kleinen Auftritten von Philharmonikern und Philharmonikerinnen an verschiedensten Orten der Stadt, ob in Schulen oder sozialen Einrichtungen, sorgte die mobile Bühne für ganz besondere musikalische Erlebnisse. Fester Bestandteil der Osterfestspiele wurde außerdem das Konzert des Bundesjugendorchesters, für das die Philharmoniker die Patenschaft übernommen haben. Die jungen Instrumentalistinnen und Instrumentalisten saßen bei diesen Konzerten Pult an Pult mit den erfahrenen Orchestermusikerinnen und -musikern.

Pause durch Corona

Die Opernprojekte der Festspiele der Berliner Philharmoniker sind eigentlich Chefsache. Nur 2019, nachdem Simon Rattle nicht mehr und sein Nachfolger Kirill Petrenko noch nicht im Amt waren, stand ein Gastdirigent im Orchestergraben: Zubin Mehta leitete Verdis Otello. 2020 freute sich das Orchester erstmals mit seinem neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko nach Baden-Baden zu kommen. »Kirill Petrenko ist ein herausragender Operndirigent mit einem beeindruckenden Netzwerk an Regisseurinnen und Regisseuren sowie Sängerinnen und Sängern. Daher war es einfach herrlich, sich an die Planung für seine ersten Festspiele zu machen«, erinnert sich Andrea Zietzschmann. Man hatte viel vor: Das Festival sollte ganz im Zeichen des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven stehen – mit Aufführungen von dessen einziger Oper Fidelio, der Missa Solemnis sowie aller Streichquartette. Doch die Corona-Pandemie vereitelte sämtliche Pläne. 

Die VeloStage bringt die Musik der Berliner Philharmoniker an viele Orte. | Bild: Monika Rittershaus

Opernhighlights mit Tschaikowsky und Strauss

Auch im folgenden Jahr konnte das Festival coronabedingt nicht wie geplant stattfinden. Dafür gab es eine Herbstresidenz des Orchesters in der baden-württembergischen Kur- und Bäderstadt und Kirill Petrenko verwirklichte eines seiner Herzensprojekte: die konzertante Aufführung von Tschaikowskys Oper Mazeppa. Petrenkos Anliegen, eher selten aufgeführte Opern von Peter Tschaikowsky vorzustellen, konnte der neue Chefdirigent dann 2022 mit der szenischen Produktion von Pique Dame und der konzertanten Aufführung von Jolanthe realisieren. »Kirill Petrenko wählte diese Werke gezielt aus, weil er darin die Chance sah, das Orchester weiterzuentwickeln. Unter seiner Leitung wurden die Aufführungen dieser doch relativ unbekannten Opern zu etwas ganz Besonderem«, meint Andrea Zietzschmann. »Die Tschaikowsky-Opern waren für die Philharmoniker eine echte Entdeckungsreise.«

Und sie dienten als Vorbereitung für zwei weitere, aufsehenerregende Inszenierungen mit Opern von Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten in der Regie von Lydia Steier (2023) und Elektra in der Regie von Philipp Stölzl mit Nina Stemme in der Titelpartie (2024). Besonders diese beiden Produktionen waren für Andrea Zietzschmann und Eva-Maria Tomasi absolute Highlights. Und natürlich zählten auch die Orchesterkonzerte unter Petrenkos Leitung, etwa mit Strauss‘ Heldenleben oder Brahms‘ Vierter Symphonie zu den Höhepunkten der vergangenen Jahre. Ostern 2025 steht dann in Baden-Baden mit Puccinis Madama Butterfly nochmal eine der meistgespielten und beliebtesten Opern auf dem Programm, bevor es 2026 wieder zurück nach Salzburg geht. Warum dieser erneute Wechsel? »Unsere DNA ist nach wie vor eng mit Salzburg verbunden«, erklärt Eva-Maria Tomasi. »Herbert von Karajan gründete die Osterfestspiele in dieser Stadt vor fast 60 Jahren speziell für die Berliner Philharmoniker, es war unser Festival. Mittlerweile ist man in Salzburg flexibler geworden, sodass die Rückkehr nahelag. Wir sind jedoch Baden-Baden sehr dankbar für die großartige Zeit, die wir dort zu Ostern erleben durften!« Auch Andrea Zietzschmann blickt in Dankbarkeit zurück und gleichzeitig zuversichtlich in die Zukunft: »Wir hatten hier 13 wunderbare Jahre und schätzen das Vertrauen, das die Festspiele und auch das Publikum in unser Orchester gesetzt haben. Wir konnten viel gemeinsam mit dem Team des Festspielhauses gestalten und freuen uns, dass der Blick auch in die Zukunft geht. 2026 werden wir in Baden-Baden ein besonderes Wochenende gestalten – und so folgt auf den Abschied 2025 direkt eine Wiederkehr.«

2022: Tschaikowskys »Pique Dame« | Bild: Monika Rittershaus