Autor*in: Nicole Restle

Rudolfinum, eine der Veranstaltungsstätten des Prager Frühlings | Bild: Prague Spring Festival

Übersicht

Es gibt viele große internationale Musikfestivals – aber nur einen »Prager Frühling«. Die Mischung machts: Die Liebe zur Tradition und Neugier auf Neues, der Stolz auf die tschechische Musikkultur und Offenheit für Inspirationen aus aller Welt verleihen dem Festival ein unverwechselbares Gesicht. Ein Blick auf ein ganz besonderes Ereignis.

Im Frühjahr ist Prag besonders reizvoll. Nicht allein, weil die Menschen den Winter abschütteln, die Tage länger und sonniger werden und das öffentliche Leben auf den Straßen und Plätzen Fahrt aufnimmt. Im Mai steht die Stadt an der Moldau drei Wochen lang im Zeichen des Internationalen Musikfestivals »Prager Frühling«. Das Festival startet traditionell am 12. Mai, dem Todestag des tschechischen Nationalkomponisten Bedřich Smetana. Als Eröffnungsstück erklingt – auch das gehört zur Festivaltradition – stets dasselbe Werk: der Zyklus Má vlast (Mein Vaterland), in dem Smetana in sechs symphonischen Dichtungen der Landschaft, der Geschichte und den Sagen seiner tschechischen Heimat huldigt. Alljährlich lautet die spannende Frage: Wer spielt? Denn jedes Jahr bekommt ein anderes Orchester die Ehre, mit seiner Interpretation von Má vlast den Festivalauftakt zu geben – in dieser Saison sind es die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko. Obwohl bereits langjährige Gäste des Festivals, den traditionsreichen »Prager Frühling« eröffnen die Philharmoniker 2024 zum ersten Mal. 

Aufbruchstimmung und ein runder Geburtstag

Den Begriff »Prager Frühling« verbinden die meisten von uns wahrscheinlich vor allem mit einem historischen Ereignis: der gewaltsamen Niederschlagung tschechoslowakischer Reformbestrebungen durch die Truppen des Warschauer Pakts 1968. Doch zu diesem Zeitpunkt war der musikalische »Prager Frühling« schon längst ein etabliertes Kulturereignis und ein Magnet für Künstler*innen und Publikum aus aller Welt. Angefangen hat alles 1946: Der Zweite Weltkrieg war vorbei, die Menschen blickten optimistisch in die Zukunft und die Tschechische Philharmonie stand kurz vor ihrem 50. Geburtstag. 

Um dieses Ereignis zu feiern, gründete das Orchester auf Initiative seines damaligen Chefdirigenten Rafael Kubelík das Musikfestival »Prager Frühling«. Es lud herausragende internationale Dirigenten und Solist*innen ein, unter anderem Leonard Bernstein, Charles Munch, Moura Lympany und David Oistrach. Der tschechische Maler und Grafiker František Muzika entwarf dafür das Logo, das heute Kultstatus hat: ein geschwungenes »f«, das für die Dynamikbezeichnung »forte« steht und gleichzeitig an die Schalllöcher von Streichinstrumenten erinnert. 

Die Berliner Philharmoniker stehend beim Applaus während eines Konzerts beim »Prager Frühling« 1969. | Bild: Reinhard Friedrich/Archiv Berliner Philharmoniker

Tschechische Musik im Mittelpunkt

In den 79 Jahren seines Bestehens hat sich das Festival gewandelt: Bestritt anfangs die Tschechische Philharmonie sämtliche Orchesterkonzerte, so treffen sich mittlerweile die großen internationalen Klangkörper beim »Prager Frühling«. In diesem Jahr gehören neben den Berliner Philharmonikern, die erstmals 1966 unter der Leitung von Herbert von Karajan eingeladen wurden, unter anderem das Philharmonische Orchester der Mailänder Scala, das Orchestre Philharmonique de Radio France oder das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia zu den Gästen. 

Zudem gibt es einen Barockschwerpunkt mit namhaften Ensembles der Alten Musik, Soloabende mit Künstler*innen wie Seong-Jin Cho, Iveta Apkalna oder Miah Persson, einen Musikwettbewerb sowie mehrere Uraufführungen von Werken tschechischer Gegenwartskomponisten. Eines hat sich allerdings nicht geändert: Im Zentrum des »Prager Frühlings« steht nach wie vor die Musik der großen tschechischen Komponisten Antonín Dvořák, Leoš Janáček, Josef Suk, Bohuslav Martinů – und natürlich Bedřich Smetana, dessen Geburtstag sich 2024 zum 200. Mal jährt und dessen Werk daher noch stärker im Fokus steht als sonst.