Auf Einladung der Berliner Philharmoniker
Info
Wenige andere Musiker haben die Serie Jazz at Berlin Philharmonic so geprägt wie die Pianisten Michael Wollny, Iiro Rantala und Leszek Możdżer. Die drei bestritten 2012 das legendäre Eröffnungskonzert der Reihe und bereicherten sie in den vergangenen Jahren immer wieder mit grandiosen Auftritten. In diesem Konzert kommen der aus Martinique stammende Pianist Grégory Privat dazu. Die vom Charakter und Temperament ganz unterschiedlichen Künstler verbindet die Verwurzelung in der klassischen Musik. Und so dürfen wir uns auf einen Abend freuen, an dem die vier Pianisten Klassik, Jazz und karibisches Flair zu einem besonderen Sound zusammenführen.
Besetzung
Michael Wollny Klavier
iiro Rantala Klavier
Leszek Możdżer Klavier
Grégory Privat Klavier
Serviceinformationen
Kuratiert von Siggi Loch
Großer Saal
22 bis 71 €
Konzerteinführung
19.15 Uhr
Abo P: Jazz at Berlin Philharmonic
2001 schrieb Michael Wollny seine Diplomarbeit über »Tonwirbel« in den Improvisationen von Joachim Kühn. Über den Pianisten also, mit dem er später intensiv zusammengearbeitet hat und in dessen Fußstapfen als internationale Gallionsfigur des deutschen Jazz er getreten ist. Inzwischen ist Wollny selbst längst Gegenstand musikwissenschaftlicher Studien – ohne dass diese seine Vielseitigkeit abschließend erfassen oder seine magische Publikumswirkung bei seinen Konzerten wirklich erklären konnten.
Seit gut 25 Jahren überrascht Wollny mit seinen Projekten immer wieder aufs Neue. Er kann sich dabei des überschwänglichen Kritikerlobs – wohl kein deutscher Jazz-Musiker hat mehr wichtige Preise gewonnen als Wollny – sicher sein, seit seinem Durchbruch mit dem Album Weltentraum auch des Zuspruchs eines breiten Publikums. Am Anfang seiner Projekte steht immer eine Idee: ob es zu Beginn seiner Karriere mit dem Piano-Trio die genresprengende und von Dynamik getriebene Neudefinition des Klaviertrios war, ob es die Betonung des Melodischen beim Weltentraum war, ob es das akustische Echo auf Einsamkeit und Zeitgefühl bei seinem Corona-Solo Mondenkind war oder die rein elektronischen Klanggebirge von XXXX.
An Inspiration fehlt es dem seit 2014 als Professor an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater viele Nachfolgerinnen und Nachfolger auf die Spur setzenden Universalgebildeten nie. Sie kann von der ihn prägenden romantischen Klassik eines Franz Schubert oder Gustav Mahler kommen oder von Neutönern wie Edgar Varèse, Paul Hindemith und György Ligeti. (Mit einem Programm zum 100. Geburtstag von György Ligeti war Wollny an der Seite von Pierre-Laurent Aimard zuletzt bei Jazz at Berlin Philharmonic zu erleben.) Die Inspiration kann aber auch von Pop-Ikonen wie Björk, Pink oder Kraftwerk stammen, von japanischen Horrorfilmen (unter anderem greifbar auf dem letzten Trio-Album Ghosts) oder von Großstadtlyrik. Oder auch von der Raumfahrt (Mondenkind), von Naturphänomenen oder von der Architektur (wie bei seinem Großprojekt bau.haus.klang zum 100-jährigen Jubiläum vom Bauhaus).
Stets sucht Wollny die Herausforderung durch die Begegnung mit den Besten: an der Seite seines langjährigen Weggefährten, des Schlagzeugers Eric Schaefer, ebenso wie mit der Saxofon-Ikone Heinz Sauer, mit Posaunist Nils Landgren, Saxofonist Émile Parisien, mit Akkordeonist und Klarinettist Vincent Peirani, Sänger Andreas Schaerer, Bassgitarrist Tim Lefebvre, mit Schlagzeuger Christian Lillinger oder Schauspieler Christian Brückner. Am Ende ist natürlich alles – die Stücke, die Besetzung, das Konzept – nur der Steinbruch für das, was bei dem ebenso meisterlichen Komponisten wie vollendeten Improvisator Wollny im Moment passiert.
So sehr ihn die Arbeit mit großen Ensembles wie dem Norwegian Wind Ensemble (bei Nosferatu) oder der hr-Bigband (bei Wunderkammer XXL) reizt, so sehr das Trio für ihn seine Hauptbesetzung ist, so sehr beherrscht er doch auch die Königsklasse des Solo-Pianos. »In den letzten Jahren genieße ich es sehr, regelmäßig auch mal alleine zu spielen, weil man da sehr viele Freiheiten hat«, so Wollny. Stammgäste von Jazz at Berlin Philharmonic können seine phänomenale Meisterschaft in diesem Fach bestätigen – und sich nun auf ein neues Kapitel seiner großartigen Berliner Auftritte freuen.
Wie Michael Wollny so ist auch iiro Rantala ein Leuchtturm des europäischen Jazz – und ein Publikumsliebling bei Jazz at Berlin Philharmonic. Zuletzt war er beim Veneziana-Abend mit Streichern und Bläsern der Berliner Philharmoniker zu hören, aber bei den Piano-Gipfeltreffen ist er sozusagen »gesetzt«.
Man darf mit einiger Berechtigung sagen, dass Rantala dabei für das heitere Element zuständig ist. Ob Humor schon beim Jazz-Piano-Studium an der Sibelius-Akademie in Helsinki und beim klassischen Klavier-Studium an der Manhattan School of Music gefragt war, sei dahingestellt. Schon sein erster Karriereschritt mit der Band Big Bad Family hatte es auf eine lustvolle Dekonstruktion der gängigen Genremuster angelegt. In diese Richtung ging es noch stärker mit dem 1988 von ihm gegründeten Trio Töykeät (was am ehesten mit »Grobiane« zu übersetzen ist), das mit seinen acht Alben als erfolgreichstes und humorvollstes Klaviertrio in die finnische Jazz-Geschichte eingegangen ist.
Nach gut 20 Jahren und einer gewissen Erstarrung dieses Konzepts war es 2008 Zeit für etwas Neues. Neben dem New Trio mit dem Gitarristen Marzi Nyman und dem Beatboxer Felix Zenger probierte Rantala die unterschiedlichsten Besetzungen zwischen Jazz, Klassik, Rock und Pop aus, um mit dem Album Lost Heroes 2014 schließlich den Weg zum Solo-Piano zu finden. Zwar spielt Rantala seither auch Duos mit Saxofonist Jukka Perko und Gitarrist Ulf Wakenius ein und kehrt immer wieder zur Triobesetzung zurück: Im String Trio mit Adam Bałdych an der Geige und Asja Valčić am Cello, mit Bassist Lars Danielsson und Schlagzeuger Peter Erskine oder im HEL Trio mit Anton Eger am Schlagzeug und Conor Chaplin am Bass, das für sein unlängst erschienenes Album Tough Stuff hoch gelobt wurde. Doch dem Solo-Spiel ist er, dokumentiert auf drei weiteren Alben, immer treu geblieben – wobei seine John-Lennon-Hommage My Working Class Hero von 2015 ein internationaler Hit und der endgültige Durchbruch wurde.
Rantala ist der große Eklektiker unter den Jazz-Pianisten, sein Œuvre umarmt – schon im Albumtitel My History of Jazz von 2012 auf den Punkt gebracht – die komplette Musikgeschichte, von Johann Sebastian Bach bis John Lennon, von George Gershwin, Keith Jarrett und Leonard Bernstein bis zu Rock und Pop. Außerdem schreibt er Musicals, Opern und weitere Werke der klassischen Genres. Rantala macht sich alles auf unverwechselbar persönliche Weise zu eigen. Und immer ist es ein lust- und humorvoller Umgang mit den Vorgängern und Vorbildern, was sich oft schon an den Titeln zeigt, etwa denen seiner klassischen Werke. So heißt eines seiner mit der Tapiola Sinfonietta eingespielten Klavierkonzerte Concerto in Concerto in G♯ΔA♭, seine beiden Opern heißen Sanatorio Express und Die Zaubermelodika – letztere ist ein Auftragswerk der Komischen Oper Berlin als Fortsetzung von Mozarts Zauberflöte.
Man darf sich also im Großen Saal der Philharmonie wieder einmal nicht nur auf einen hochvirtuosen und kreativen Auftritt von Rantala freuen, sondern auch auf diesen unwiderstehlichen Schuss Leichtigkeit.
Wie Michael Wollny kommt der polnische Pianist Leszek Możdżer ursprünglich aus der Klassik. Und wie sein deutscher Kollege und Freund ist auch er in seiner Heimat zu einer Gallionsfigur eines neuen, modernen, sich nach allen Seiten öffnenden Jazz geworden. Beide haben schon während ihres Studiums in heute legendären Bands Spuren hinterlassen: Wollny im Trio [em], Możdżer bei Miłość – der auf polnisch »Liebe« heißenden Band, die sich mit einer wilden Mischung aus Free-Jazz, Rock, Wave und Punk explizit vom polnischen Jazz absetzte und die Danziger Bewegung des sogenannten Yass begründete.
Acht Jahre lang spielte er von seinem 20. Lebensjahr an in der bis heute kultisch verehrten Truppe und wurde in dieser Zeit von der Zeitschrift Jazz Forum sechsmal als bester Pianist, zweimal als Musiker des Jahres und einmal mit dem bekanntesten polnischen Musikpreis, dem Fryderyk, ausgezeichnet. Das war der Auftakt zu einer großen Karriere, die ihn an die Seite von Größen aus den USA wie dem Gitarristen Pat Metheny, dem Trompeter Lester Bowie, dem Saxofonisten Arthur Blythe, dem Saxofonisten und Pianisten Archie Shepp und dem E-Bassisten Marcus Miller führte.
Und zum Label ACT, für das er 2011 und 2013 die Alben Komeda und Polska einspielte. Diese seinen unverwechselbaren Individualstil belegenden Beschäftigungen mit den Säulenheiligen und Traditionslinien der polnischen Musik – von Frédéric Chopin über Witold Lutosławski bis zum Gründervater des polnischen Jazz und Pop Krzysztof Komeda – brachte Możdżer international den Durchbruch und in seiner Heimat die Eroberung der Pop-Charts. Letzteres ist unter anderem eine Konsequenz aus der Genreoffenheit, die Możdżer seit jeher mit seinem ureigenen Stil verbindet. Er ist als Romantiker und großer, eigenwilliger Erzähler am Klavier stets wiedererkennbar als ein dem Wohlklang verpflichteter Chromatiker, der in Trillern, Vorschlägen und Verzierungen schwelgt und in Klangfarben badet. Klassische Virtuosität begegnet bei ihm experimenteller Fantasie, humorvoller Improvisationskunst und den Melismen der slawischen Musiktradition.
Das machte Możdżer nicht nur zum idealen langjährigen Partner für den Geiger Adam Bałdych, seinen seelenverwandten Landsmann, sondern auch für den feinsinnig-melodischen schwedischen Cellisten und Bassisten Lars Danielsson. Und es befähigte ihn zur Zusammenarbeit mit dem Alte-Musik-Ensemble Holland Baroque, mit dem Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, dem Roxy-Music-Gitarristen Phil Manzanera, mit der Death-Metal Band Behemoth, den Rappern L.U.C und Eldo oder mit der Rockband Myslovitz. Als legitimer Nachfolger des Gründungsvaters des polnischen Jazz und Pop Krzysztof Komeda darf Możdżer auch deshalb gelten, weil zu den gut 100 Alben mit eigenen und fremden Projekten auch sehr viel Theater- und Filmmusik dazugekommen ist: von Aufnahmen für Jan Kaczmareks Oscar-prämierten Soundtrack zu Finding Neverland über diverse Theatermusiken für die Regisseure Wojciech Kościelniak, Grzegorz Jarzyna, Jan Englert und andere; von Stummfilmvertonungen bis zur eigenen Oper Immanuel Kant; von Filmscores für Wiktor Grodeckis Die Unersättlichkeit, Michale Boganims Verwundete Erde bis zum vielfach preisgekrönten Soundtrack zu Maciej Pieprzycas Icarus – Die Legende von Mietek Kosz. Ein ganzer Kosmos an Ideen und pianistischer Kraft, auf die man sich bei Jazz at Berlin Philharmonic freuen kann.
Mit 39 Jahren ist der französische Pianist Grégory Privat der jüngste des Pianisten-Triumvirats im heutigen Konzert. Und in gewisser Weise ein Spätzünder. Denn ursprünglich zog Privat von seiner Heimat, dem französischen Übersee-Departement Martinique, nach Toulouse, um Ingenieur zu werden. Auf gewisse Weise hat das geklappt – nur konstruiert er seitdem filigrane Klanggebäude. Denn die Musik war am Ende stärker als der gut bezahlte Bürojob. War doch schon sein Vater José Pianist (unter anderem in der in der Karibik berühmten Band Malavoi), und auch Grégory saß seit seinem sechsten Lebensjahr an den Tasten. Nach zehn Jahren klassischer Musikausbildung begann er zu komponieren und zu improvisieren.
Und so spielte Privat während des Ingenieurstudiums in lokalen Clubs und schloss sich einem Trio mit Maxime Delporte am Bass und Alyss Kalbez am Schlagzeug an. Mit dem Ingenieursdiplom in der Tasche zog er nach Paris, traf dort auf Schlüsselfiguren der Szene wie den Trompeter Stéphane Belmondo oder den Bassisten und Schlagzeuger Rémi Vignolo. Auf der Suche nach einem Platz in der Jazz-Welt nahm er 2008 am Klavierwettbewerb des Montreux Jazz Festivals und 2010 am Martial-Solal-Wettbewerb teil, bei dem er das Halbfinale erreichte. Im folgenden Jahr erschien sein Debütalbum Ki Koté.
Hier kann man schon das ganz persönliche musikalische Programm hören, das Privat seither weiterentwickelt und verfeinert hat: die Musiktradition der Beguine und des Zouk – Musik- und Tanzstile der französischen Antillen, mit der er aufgewachsen ist, – in den modernen Jazz zu transportieren. So geschah es beim 2013 erschienenen Konzeptalbum Tales of Cyparis, inspiriert von der Geschichte des wegen einer Bar- oder Straßenschlägerei inhaftierten Matrosen Louis-Auguste Cyparis, der von über 30.000 Einwohnern der damaligen Hauptstadt Martiniques Saint-Pierre im Gefängniskeller als einziger den Vulkanausbruch des Mont Pelée im Jahr 1902 überlebte und daraufhin vom Zirkus Barnum angeheuert wurde. Weiter ging es 2015 mit dem Duo-Album Luminescence mit dem von Guadeloupe stammenden Meister-Perkussionisten Sonny Troupé, das mit dem Frank-Ténot-Preis für französische Neuentdeckungen der Victoires du Jazz ausgezeichnet wurde. Im Jahr darauf erschien beim Label ACT das international beachtete Album Family Tree.
Zwischendurch war Privat auch auf Alben von Trompeter Franck Nicolas, Gitarrist Yosuke Onuma oder Sängerin Manu Le Prince zu hören und arbeitete mit Größen wie Sängerin Catia Werneck, Schlagzeuger Paco Séry und Saxofonist Guillaume Perret. Er gehörte zum Ensemble von Lars Danielsson auf seinem Album Liberetto und spielt bis heute in verschiedenen Bands des aus Guadeloupe stammenden, seit 30 Jahren in New York lebenden Saxofonisten Jacques Schwarz-Bart. Seit 2019 leitet Privat auch ein eigenes Trio mit Chris Jennings am Bass und Tilo Bertholo am Schlagzeug.
»Ich möchte selbst überrascht sein von dem, was ich tue«, sagt Privat. Auch ihn führte das schließlich zum Solo-Piano. 2022 legt er Yonn vor, sein erstes, von den Erfahrungen der Pandemie geprägtes, Solo-Album, auf dem er auch erstmals singt. Im vergangenen Jahr erschien das in Marseille aufgenommene Solo-Improvisations-Album Nuit & Jour. Man wird heute Abend in der Philharmonie Berlin also einen weiteren der aktuell interessantesten (und soeben mit dem Django-Reinhardt-Preis ausgezeichneten) Jazz-Pianisten erleben.
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