Anton Bruckners Symphonien sind gewaltige Monolithen und streben doch schwerelos in himmlische Sphären. Anlässlich des 200. Geburtstags des Komponisten – am 4. September 2024 – können Sie sich diesen Kosmos in einem Zyklus der Berliner Philharmoniker erschließen. Über zwei Spielzeiten erstreckt er sich: In der Saison 2023/24 präsentierte das Orchester neben der berühmten »Romantischen« auch die kaum gespielte »Nullte« Symphonie. In dieser Saison führt zum ersten Mal Chefdirigent Kirill Petrenko eine Bruckner-Symphonie mit den Berliner Philharmonikern auf. Insgesamt stehen in dieser Spielzeit sechs von neun Bruckner-Symphonien auf dem Programm.
Man muss kein gläubiger Mensch sein, um Anton Bruckner zu spielen oder zu hören. Aber es ist etwas in seinen Orchester-Monolithen, das uns anders auf die Welt schauen lässt. Bruckners Symphonien sind sozusagen Extremsport: Sie fordern Ausführenden und Publikum eine hohe Ausdauer, Energie und Konzentration ab, belohnen sie aber mit Glücksgefühlen und einer tiefen Einsicht in die Schönheit und Gefährdung des Lebens – und in etwas, das unter der Oberfläche des Alltags liegt.
Angesichts der eng vernetzten Kultur unserer Zeit erscheint es fast unvorstellbar, dass dieses Gipfelwerk von einem Einzelgänger erschaffen wurde. Bruckner lebte zwar nicht in Weltabgeschiedenheit, doch seine sozialen Bindungen, auch die ausschließlich scheiternden Kontaktaufnahmen zu Frauen, waren einer Mission untergeordnet. An dieser hielt er fest, trotz aller Zurückweisungen seiner Musik: »Die wollen, dass ich anders schreibe. Ich könnt’s ja auch, aber ich darf nicht«, bekannte er. »Unter Tausenden hat mich Gott begnadigt und dies Talent mir, gerade mir gegeben. Ihm muss ich einmal Rechenschaft ablegen.«
Diese Äußerung des tiefgläubigen Katholiken bringt seine künstlerische Überzeugung auf den Punkt. Trotz einer Ausbildung als Lehrer verstand sich Bruckner nicht als hochbelesener Intellektueller – er war einer, dem selbst seine Freunde den »Eigensinn des oberösterreichischen ›Mostschädels‹« attestierten. Aber auch das einseitige Bild Bruckners als naiver Gottesmusikant, der von wohlmeinenden Kollegen mit immer neuen Umarbeitungen seiner Symphonien überrumpelt wurde, ist heute überholt. Bruckner war ein reflektierter, auf strukturelle Finessen äußerst bedachter Komponist, der nicht selbstlos für die Schublade schrieb, sondern beharrlich nach Anerkennung und Aufführungsmöglichkeiten suchte.
Bruckners Depressionen, Zwangsneurosen, seine zeitweilige »gänzliche Entnervung« scheinen sich im Werk kaum zu spiegeln. Obwohl ein schöpferischer Spätzünder, hielt er in beeindruckender Konstanz am einmal entwickelten Personalstil fest. In der »Nullten« Symphonie, die er »nur als Versuch« bezeichnete, beleuchtete er nach seiner Ersten Symphonie noch einmal die Möglichkeiten eines alternativen symphonischen Konzepts. Doch zu mächtig drängten sich jene Eigenheiten nach vorne, die seine Handschrift von nun an prägen sollten.
Bruckners Erfahrungen als Organist bestimmten Architektur, Klangfarben und polyfone Vielschichtigkeit seiner Symphonien. Gigantische Steigerungswellen, majestätische Klanggebirge, aber auch stille Meditation und poetischer Humor sind in der Begegnung mit diesem Komponisten zu finden. Hinzu kommt der sehnsüchtige Klang der romantischen Epoche, der Bruckner entstammte, am intensivsten zu erleben in der populären Vierten Symphonie. Das Changieren von Bruckners Tonsprache zwischen Individualität und Zeitstil, der Wechsel zwischen seinem menschlichen Empfinden und entrückter Spiritualität formt sich zu immer neuen Konstellationen – und damit zu einem Schaffen, dessen Perspektiven sich nie erschöpfen.
Großer Saal
Berliner Philharmoniker
Herbert Blomstedt Dirigent
Leif Ove Andsnes Klavier
Werke von
Wolfgang Amadeus Mozart und Anton Bruckner
Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 20 d-Moll KV 466
Pause
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 9 d-Moll