Autor*in: Ilona Schneider
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Anton Bruckner hat es seinen Zeitgenossen nicht leicht gemacht – und der Nachwelt auch nicht. Wieder und wieder hat er an seinen Symphonien gearbeitet, hat revidiert, gekürzt oder ganze Sätze neu geschrieben. Ausführende haben die Qual der Wahl und müssen sich zwischen teils mehreren Fassungen entscheiden.

Die Frage hat ihre Berechtigung: Wie viele Symphonien hat Bruckner eigentlich geschrieben? Nach offizieller Zählung – und nimmt man den Komponisten selbst beim Wort – sind es neun. Rechnet man die sogenannte »Annullierte« und auch die Studiensymphonie vom Beginn der 1860er-Jahre hinzu, wären es elf. Beide hat Bruckner allerdings eigenhändig aus der Reihe seiner nummerierten Werke ausgegliedert. Trotzdem kann man auf eine noch viel größere Zahl kommen: Berücksichtigt man sämtliche Umarbeitungen und Neufassungen, die Bruckner an seinen Symphonien auch lange nach der jeweiligen Uraufführung vorgenommen hat, stehen unterm Strich stolze 18 mehr oder weniger verschiedene symphonische Schöpfungen. 

Annähernd alle seine Symphonien hat Bruckner einer Revision unterzogen. Mal hat er sich an Detailfragen aufgehalten, mal geglättet, hier einige Takte eliminiert oder dort umfangreich gekürzt. Manchmal hat er auch ganze Sätze komplett neukomponiert. Man hat es ihm meist negativ ausgelegt, dass er seine Symphonien als »work in progress« verstand. Ist das nicht ein Zauderer mit geringem Selbstbewusstsein, hat man sich gefragt. Nicht selten lautet auch heute noch das Urteil: Bruckner ist jedem gutgemeinten aber nicht immer guten Rat gefolgt und hat es Orchestern, Dirigenten und Kritikern stets recht machen wollen. Ein eigener Wille wird dem Komponisten teilweise abgesprochen. Dabei gab es auch die anderen Stimmen, die wie der Dirigent Hermann Levi, förmlich flehten: »Bitte, bitte – ändern Sie nicht zu viel – es ist Alles gut, wie es ist [...]!« Dass zahlreiche Änderungen konkreten Aufführungssituationen geschuldet sind, darf man Bruckner nämlich durchaus zugutehalten: Wenn er mit einer ersten Fassung möglicherweise sein Publikum überfordert hat, bot er später Kompromisse an. Womit man sich nur abfinden muss: Ein »Fassungsproblem« gibt es in Sachen Bruckner nur dann, wenn man auf der einen, einfachen Wahrheit besteht.