Autor*in: Anna Vogt
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Noch nie etwas von der Gattung des Klavierkonzerts mit Männerchor gehört? Kein Wunder, denn der italienisch-deutsche Komponist Ferruccio Busoni schuf damit zwischen 1902 und 1904 ein absolutes Unikat. Busoni, der einen Großteil seines Lebens in Berlin verbrachte, war ein gefeierter Pianist. Was er auch war: Komponist, Pädagoge, Dirigent, Bearbeiter, Schriftsteller und Wissenschaftler. So, wie er viele Leben in einem führte, komponierte er auch: allumfassend und oft im XXL-Format.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Busonis Klavierkonzert mit Männerchor entstand, war die Epoche der Romantik noch hörbar nah, zugleich ließ die aufkommende Moderne neue künstlerische Freiheiten erahnen. In dieser Zeitenwende mit ihrer kreativen Sprengkraft erkundete Busoni mit seiner Komposition furchtlos die Grenzen der romantischen Musik, ohne sie aber ganz zu übertreten. Gleichzeitig griff er tief in den Fundus seiner überschäumenden Fantasie: Assoziationen an Heiliges und menschengemachte Denkmäler aus griechisch-römischer, ägyptischer und babylonischer Zeit, aber auch an die Natur Italiens mit ihren Zypressen und Vulkanen integrierte er als vage außermusikalische Ideen in die fünf Sätze. Muss man all das heraushören? Nein, denn das Klavierkonzert ist keine »Programmmusik«, in der Inhalte mit musikalischen Mitteln gut verständlich nacherzählt werden. Stattdessen können die Bilder assoziative Impulse für das Hören und Nachdenken über diese Musik geben: Bonusmaterial für das ganz eigene Kopf- und Klangkino.

Auch wenn dieses Konzert mit gut 70 Minuten als eines der längsten im Kosmos der Klavierkonzerte gilt und fast Spielfilmlänge erreicht: Langweilig wird es nicht, denn dieses Werk hält einige Überraschungen parat. Den Männerchor zum Beispiel, der sich vier Sätze lang schweigend gedulden muss, um dann endlich – als großes Finale – ein ergreifendes Gotteslob anzustimmen. Die Partitur schreibt vor, dass der Chor hinter der Bühne platziert ist, also unsichtbar bleibt. So scheint der Raum selbst zu singen, wenn er sich plötzlich mit menschlichen Stimmen füllt: Musikzauberei!

»Ausklang«
Erste Ausgabe mit Sakari Oramo und Kirill Gerstein