Wer im Barock ein Komponist von Rang sein wollte, musste Fugen komponieren können. Das galt als höchste Kompositionskunst. Doch was ist eigentlich eine Fuge? Wer flieht hier vor wem? Ein kleiner Exkurs in die Musiktheorie:
Wir Menschen lieben es, spielerisch etwas zu suchen und zu finden, Altbekanntes wiederzuentdecken und Neues aufzuspüren. All das können wir beim Hören einer Fuge. Der Name kommt aus dem Lateinischen. »Fuga« bedeutet »Flucht« und diese Bezeichnung sagt schon einiges über das Prinzip des Musikstücks aus: Eine Stimme stellt eine prägnante Melodie, genannt Thema, vor.
Eine zweite Stimme greift diese Melodie auf, doch weil sie später startet, ist ihr die erste Stimme immer etwas voraus. Sie »flieht« sozusagen vor der zweiten Stimme. Sobald die zweite Stimme mit dem Thema einsetzt, entwickelte die erste Stimme einen musikalischen Gegenpart, den sogenannten Kontrapunkt. Später übernimmt die erste Stimme wieder das Thema auf und die zweite Stimme hat den Kontrapunkt und so geht es fort …
Das Prinzip erscheint relativ einfach. Doch die Komponisten entwickelten daraus eine große Kunst. Sie ließen sich einiges einfallen, um das Thema zu verändern und somit den musikalischen Satz abwechslungsreicher zu gestalten. Sie stauchen oder erweitern die Melodie rhythmisch, lassen sie rückwärts oder umgekehrt spielen, fügen noch weitere Themen hinzu … Der musikalischen Phantasie sind diesbezüglich wenig Grenzen gesetzt, Hauptsache die einzelnen Stimmen – meist drei oder vier – verlaufen nach harmonisch korrekten Regeln. Je komplexer eine Fuge, desto spannender für den Hörer: Wo ist das Thema gerade? In welcher Abwandlung erscheint es? Manchmal glaubt man das Thema im Gestrüpp der vielen Gegenstimmen verloren zu haben, dann wieder leuchtet es auf einmal strahlend heraus oder erklingt sonor in der Bassstimme.
Die Fuge entwickelte sich aus musikalischen Vorläufern wie dem Kanon und erlebte im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Sie kann von vokalen oder instrumentalen Stimmen realisiert werden. Vor allem mehrstimmig zu spielende Tasteninstrumente wie Orgel, Cembalo oder Klavier sind ideal zum Musizieren von Fugen.
Kaum einer beherrschte das Komponieren so virtuos wie Johann Sebastian Bach, der von Zeitgenossen als der »grosse Fugenmeister« bezeichnet wurde. In seiner Kunst der Fuge zeigt er nochmal sämtliche Raffinessen dieser Art Musik, angefangen von einfachen vierstimmigen Fugen über Gegen-, Doppel- und Tripelfugen bis hin zur Spiegelfugen. Hinzu kommen noch vier unterschiedliche Kanons.
Das Thema, das er verwendet, wirkt sehr schlicht; es wird aus dem d-Moll-Dreiklang entwickelt. Aber diese »schlichte« Konstellation ermöglicht kompositorische Transformationsprozesse, die Bachs Meisterschaft zeigen. Jeder Fugensatz transportiert zudem eine eigene Stimmung: freudig, tänzerisch, nachdenklich, kontemplativ. Zum Schluss webt Bach das musikalische Emblem seines Namens ein: B-A-C-H. Doch ausgerechnet diese letzte Fuge ist nicht zu Ende komponiert … Ein Rätsel, das die Musikwissenschaft bis heute bewegt. Bachs Kunst der Fuge hält viele spannende Aspekte bereit – beim Forschen, Spielen und Hören.