Jean Sibelius gilt als der große Komponist Finnlands, der mit seinen durch den National-Epos Kalevala inspirierten Tondichtungen dem Land ein eigenes Klangidiom gegeben hat. Kaum einer würde allerdings den Finnen mit Berlin in Verbindung bringen. Dabei spielte die deutsche Metropole in seinem künstlerischen Werdegang eine wichtige Rolle.
Jung, unbekannt, aber hochtalentiert kam Sibelius erstmals 1889 zum Studium nach Berlin. Der damals 24-Jährige blieb nur zehn Monate und durchlebte eine Zeit des Zweifelns und der Depression – relativ unmotiviert, etwas Eigenes zu schaffen. Mehr als der antiquierte Unterricht bei seinem Lehrer Albert Becker, interessierte ihn das Berliner Kulturleben, vor allem die Konzerte des Philharmonischen Orchesters. Besonders begeisterte ihn, wie Chefdirigent Hans von Bülow die Symphonien Beethovens interpretierte. Er setzte sich intensiv mit den verschiedenen musikalischen Entwicklungen der Zeit auseinander. Und er resümierte: »Die größte Bedeutung meines Berliner Aufenthalts lag darin, dass ich so viel hören konnte, sowohl Orchester- als auch Kammermusik.«
Zwölf Jahre später, im November 1902, kehrte Sibelius nach Berlin zurück – unter vollständig anderen Vorzeichen. Dank seiner Tondichtungen und seiner Ersten Symphonie galt er als führender Komponist seines Landes. Die Berliner Philharmoniker hatten zum ersten Mal ein Werk des Finnen auf ihr Konzertprogramm gesetzt: die Tondichtung En saga, die Sibelius selbst dirigierte und die von der Presse als »rassiges, packendes Werk« gelobt wurde. Es folgten 1904 Finlandia und 1905 die Aufführung der Zweiten Symphonie. »Die Symphonie ist ein Werk, dessen Bekanntschaft zu machen sich lohnte«, heißt es in einer Konzertbesprechung. Vor allem die Orchesterbehandlung zeige, so der Kritiker, »dass es mit dem klassischen Symphonieorchester noch immer möglich ist, eine Menge durchaus unverbrauchter, neuartiger Klangwirkungen zu erzielen.«
Allerdings finden sich Sibelius Werke nicht in den Programmen der renommierten philharmonischen Abonnementkonzerte, sondern in den weit weniger frequentierten »Novitäten-Konzerten«, die der Komponist Ferruccio Busoni künstlerisch betreute. Erst 1911 dirigierte Arthur Nikisch, der damalige Chefdirigent des Orchesters, im Rahmen der großen philharmonischen Konzerte die Tondichtung Finlandia. Ab den 1920er- und 30er-Jahren stehen Sibelius’ Kompositionen öfter auf den Programmen der Philharmoniker, u. a. unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler, Thomas Beecham und Eugen Jochum. Im März 1941 dirigiert Clemens Krauss ein Festkonzert zum 75. Geburtstag des Komponisten mit der Erstaufführung von Tapiola.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Sergiu Celibidache und später dann Herbert von Karajan, die bei den Berliner Philharmonikern immer wieder Werke des finnischen Komponisten interpretierten. In der Saison 2010/11 gab es unter der Leitung von Sir Simon Rattle erstmals eine Gesamtaufführung der sieben Symphonien, die 2015 anlässlich des 150. Geburtstags von Sibelius wiederholt und als DC- und Blu-ray-Edition sowie als LP-Einspielung veröffentlicht wurde. Das Werk von Sibelius, das die Berliner Philharmoniker jedoch am häufigsten aufgeführt haben, ist das Violinkonzert: Im Oktober 1905 leitete Richard Strauss die Uraufführung der Neufassung.
Der Solist war Carl Halir, damaliger Konzertmeister der Königlichen Hofkapelle. »Ein mit Fantasie geschriebenes, in Farbe und Zeichnung gleich fesselndes Werk«, urteilte der Kritiker des Musikalischen Wochenblatts. Viele Geiger haben seither mit dem Konzert bei den Philharmonikern brilliert, angefangen von Franz von Vecsey, dem Schüler Joseph Joachims und Widmungsträger des Werks, bis hin zu Pinchas Zukerman, Itzhak Perlman, Gidon Kremer und – in jüngerer Zeit – Leonidas Kavakos, Nikolaj Znaider, Lisa Batiashvili und Janine Jansen.