Ohne den Geiger Joseph Joachim hätte Brahms sein Violinkonzert wohl nie geschrieben. Das Werk ist Ergebnis und Ausdruck einer langjährigen Freundschaft. Joachim ebnete Brahms dabei den Weg ins Künstlerleben, ließ ihn an seinem beruflichen Netzwerk teilhaben. Die beiden empfanden sich als Brüder im Geiste – bis ein fataler Scheidungsprozess beinahe alles zerstörte.
Zwei Jahre nach Johannes Brahms’ Tod wurde 1899 das erste Denkmal für ihn errichtet – in Meiningen, denn zur dortigen Hofkapelle pflegte der Komponist gute Kontakte. Fast alle wichtigen Weggefährten aus früheren Tagen hat Brahms überlebt. Einer seiner langjährigen Freunde, Musikpartner und Promoter aber stand nun als Laudator im Schatten der soeben enthüllten monumentalen Büste und bezeugte, »dass ich dem großen Künstler länger als irgendjemand sonst in diesem Kreis nahegestanden habe, beinahe ein halbes Jahrhundert«: Joseph Joachim, der berühmteste Geiger seiner Zeit.
Erstmals kreuzten sich ihre Wege 1848 in Brahms’ Heimatstadt Hamburg. Ehrfürchtig erlebte der 15-Jährige den nur zwei Jahre älteren Joachim in Beethovens Violinkonzert. An eine Kontaktaufnahme war nicht zu denken, immerhin war der Geiger bereits damals schon eine Berühmtheit: Geboren 1831 im österreichisch-ungarischen Burgenland, trat er schon mit sieben Jahren als Wunderkind auf. Gemeinsam mit seinem Förderer Felix Mendelssohn Bartholdy entdeckte er das lange vergessene Beethoven-Violinkonzert wieder, auch dessen Streichquartette machte er mit seinem eigenen Ensemble einem größeren Publikum bekannt. Überhaupt verkörperte er einen ganz neuen Musikertyp: kein selbstinszenierter Teufelsgeiger wie Paganini, kein selbstverliebter Virtuose, sondern ein gewissenhafter Interpret, der sein hohes technisches Niveau in den Dienst des Komponisten stellt (wie wir heute anhand knisternder Walzen-Aufnahmen nachvollziehen können).
Fünf Jahre später dann das persönliche Kennenlernen. Brahms kam 1853 als Klavierbegleiter auf Tournee mit dem ungarischen Geiger Eduard Reményi nach Hannover, wo Joachim inzwischen als königlicher Konzertmeister wirkte. Und obwohl Brahms noch immer ein Newcomer war, erkennen sich die beiden sofort als Brüder im Geiste. »Mir ist noch nie ein derart großes Talent begegnet«, schwärmte Joachim. »In seinem Spiel ist das intensive Feuer, jene Energie und Präzision, die den Künstler prophezeien, und seine Kompositionen zeigen schon jetzt so viel Bedeutendes, wie ich es bis jetzt noch bei keinem Kunstjünger seines Alters getroffen.« Als Reményi Brahms kurz darauf unvermittelt sitzen lässt, war der Weg frei für eine menschliche und musikalische Partnerschaft, die in die Musikgeschichte eingehen sollte.
Die beiden bestritten in den nächsten Jahrzehnten unzählige gemeinsame Konzerte – als kammermusikalisches Duo oder mit Brahms am Dirigentenpult und Joachim als Solist. Gelegentlich stritten sie dabei halb ernst, halb neckend, wessen Name zuerst auf den Plakaten stehen soll. Sie schrieben sich an die 500 Briefe, deren teils launiger Tonfall sich in Anreden wie »mein liebster Jussuf« spiegelten. Immer wieder fragte Brahms darin auch um kompositorischen Rat – er regte sogar an, alle 14 Tage kontrapunktische Studien auszutauschen, »bis wir beide recht gescheit geworden sind«. Wer zu spät dran war, musste in eine »Strafkassa« zahlen, aus der der andere sich Bücher kaufen durfte. Wie sehr er diesen Austausch schätzte, zeigen Zeilen wie diese: »Dein Brief hat mich ganz aufgeregt vor Freude gemacht, mein lieber Joseph. Ich musste ins Freie laufen, weil ich in der Stube keine Freudensprünge machen mochte.«
Vor allem aber nutzte Brahms den älteren Freund als Türöffner. Er möge ihn »ins Künstlerleben einführen«, bat er – und Joachim half gerne. Auf seine Empfehlung knüpfte Brahms Kontakte zu Konzertveranstaltern und Verlegern und stellte sich Franz Liszt und dem Ehepaar Schumann vor. Der Besuch in Düsseldorf wurde gekrönt von Robert Schumanns prophetischem Zeitungsartikel, der den jungen Komponisten als »Messias der neuen Tonkunst« pries.
Außerdem schlug er sich in einer gemeinsamen Komposition nieder, der »F.A.E.-Sonate«, in Anspielung auf Joachims Motto »Frei, aber einsam«, das Brahms umgehend für sich übernahm– und als ewiger Junggeselle eisern durchhielt. Daneben entstanden musikalische Geburtstagsgeschenke wie ein Walzer mit dem ironisch hochgestochenen Titel Hymne zur Verherrlichung des großen Joachim. Auf ein gewichtiges Werk seines Komponistenfreundes musste der Geiger allerdings lange warten.
Erst 25 Jahre später schickte Brahms Entwürfe eines Violinkonzerts, das er Joachim widmete. »Ich wollte dich natürlich bitten, zu korrigieren«, schrieb er 1878. »Nun bin ich zufrieden, wenn du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich und so weiter.« Joachims Antwort kam prompt: »Ich habe sofort durchgesehen, was du schicktest, und du findest hie und da eine Note und Bemerkung zur Änderung. Herauszukriegen ist das meiste, manches sogar recht originell violinmäßig.« Seinem Understatement zum Trotz schlug er zahlreiche Änderungen vor – was nicht bedeutete, dass Brahms sie alle übernahm.
Zum Bruch kam es unvermittelt Anfang der 1880er-Jahre. Joachim unterstellte seiner Frau Amalie – eine profilierte Altistin, für die Brahms etliche Lieder schrieb – eine Affäre mit dem Verleger Fritz Simrock. Im anschließenden Rosenkrieg ergriff Brahms Partei für Amalie: »Lieber Freund, Dein Brief hat mich ernstlich traurig gemacht. Eine eigentliche ernstliche Ursache [= eine Affäre] ist schwer zu denken und auch schwerlich vorhanden.« Als Amalie im Scheidungsprozess einen (vertraulichen) Brief von Brahms zückt, in dem er Joachims maßlose Eifersucht als »unglückliche Charaktereigenschaft« bezeichnet, ist der Skandal perfekt und die Freundschaft ruiniert.
Nach Jahren der Funkstille komponierte Brahms 1887 als Versöhnungsgeste sein Doppelkonzert für Violine und Violoncello. »Mach Dich auf einen kleinen Schreck gefasst«, schrieb er Joachim. »Ich bitte Dich in aller Herzlichkeit und Freundlichkeit, dass Du Dich nicht im Geringsten genierst. Wenn Du mir eine Karte schickst, auf der einfach steht: ›Ich verzichte‹, so weiß ich mir selbst alles Weitere zu sagen.« Zum Glück ging Joachim auf das Friedensangebot ein, in der Uraufführung des Doppelkonzerts standen die beiden endlich wieder gemeinsam auf der Bühne. Im Folgejahr legte Brahms sogar noch eine Violinsonate nach. Ob Joseph Joachim all dies durch den Kopf ging, als er bei der Enthüllung des Brahms-Denkmals in Meiningen an den Komponisten erinnerte? Sicher ist nur: Ohne die Freundschaft der beiden wären die Musikgeschichte und das Konzertrepertoire um einiges ärmer.
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