Er hätte auch das Zeug zum Maler gehabt, doch er entscheidet sich für die Musik: Karl Amadeus Hartmann, Sohn eines Münchner Kunstmalers, beginnt nach einem Besuch von Webers Oper Der Freischütz zu komponieren. Als Student im München der 1920er-Jahre begeistern ihn nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und den daraus resultierenden politischen Umbrüchen die neuen Ideen und visionären Konzepte seiner Zeit.
Futurismus, Dada, Jazz – all das befeuert ihn. »Ich stürzte mich in die Abenteuer des geistigen Umbruchs, vielleicht nicht ganz frei von dem selbstgefälligen Gefühl, dabei gewesen zu sein«, schreibt er in seinen Autobiografischen Skizzen. Entscheidend für den jungen Komponisten ist 1929 die Begegnung mit dem Dirigenten und Komponisten Hermann Scherchen, der sein Mentor wird und dem Komponisten hilft, seinen künstlerischen Weg zu finden: »Ich habe an keinem Konservatorium und an keiner Hochschule auch nur annähernd das gelernt: was Scherchen mir beigebracht hat.«
Anfang der 1930er-Jahre stellen sich die ersten künstlerischen Erfolge ein. Doch 1933 folgt der Bruch: Hartmanns antifaschistische Haltung und seine Musik entsprechen so gar nicht den Vorstellungen der neuen nationalsozialistischen Machthaber. Deren Ideologie wiederum passt so gar nicht zu dem von humanistischen und sozialistischen Idealen geprägten Denken des Komponisten. Er geht in die innere Emigration. Seine Musik wird fortan zum Bekenntnis, zum politischen Protest: Seine Symphonische Dichtung Misere klagt den Mord an Häftlingen in einem Konzentrationslager an, sein Erstes Streichquartett enthält Melodien aus jüdischen Gesängen, seine Oper Simplicius Simplicissimus zitiert Musik von Kollegen, die als »entartet« gelten, sein 1939 entstandenes Concerto funebre drückt die Trauer und das Entsetzen über den Einmarsch der Deutschen in die Tschechoslowakei aus.
Während des Kriegs nimmt Hartmann Unterricht bei Anton von Webern. »Mit ihm machte ich Analysen und ging meine neuen Arbeiten durch. Ich war in dieser Zeit sehr glücklich; trotz aller Isolierung hatte ich einen Gleichgesinnten als Lehrer und als Freund gefunden, sein Glaube an die Musik gab mir Kraft weiterzuarbeiten.«
Die Lage spitzt sich für ihn zu: Um seine Partituren vor Kriegsbeschädigung zu schützen und aus Sorge vor Entdeckung durch die Nationalsozialisten vergräbt er sie in einer Zinkkiste im Pfarrgarten eines befreundeten Pfarrers. Er selbst versteckt sich im Keller des Hauses seiner Schwiegereltern am Starnberger See.
Dank seiner konsequenten, widerständigen Haltung gegenüber den Nationalsozialisten gehört Karl Amadeus nach Kriegsende zu den Männern der ersten Stunde: Er übernimmt die Funktion eines Musikdramaturgen an der Bayerischen Staatsoper und gründet die musica viva, eine bis heute existierende Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks für Neue Musik. Und das Wichtigste: Seine Werke können wieder öffentlich gespielt werden! Nicht alles, was während der Nazi-Diktatur und des Kriegs entstanden ist, wird sofort der Öffentlichkeit vorgestellt, sondern erst noch einer Revision unterzogen, der offenkundige Zeitbezug in Allgemeingültigeres überführt.
Hartmann gehört nicht zur denjenigen Komponisten, die im Nachkriegsdeutschland neue Techniken, Klänge und Kompositionsstrategien propagieren. Sein Komponieren lässt seine Auseinandersetzung mit der Tradition erkennen: Musik der Renaissance, des Barock, Fuge, Kontrapunkt, Spätromantik, Neoklassizismus, Expressionismus. Ihm geht es darum, in seiner Musik eine Balance zwischen Konstruktion und Emotion, ein – wie er es nennt – »durchlebtes Kunstwerk« zu schaffen.
1905: Geburt in München
1924-31: Studium an der Staatlichen Akademie der Tonkunst in München
1929: Begegnung mit Hermann Scherchen
1931: erste öffentliche Uraufführung
1934: Hochzeit mit Elisabeth Reußmann
1935-40: Aufführungen seiner Werke in Prag, Genf, London, Liège und St. Gallen
1942 Privatunterricht bei Anton von Webern
1945: Musikdramaturg an der Bayerischen Staatsoper, Gründung der Konzertreihe musica viva
ab 1947: Aufführungen von Hartmanns Werken im öffentlichen Konzertleben
1949: Musikpreis der Stadt München; es folgen viele weitere Ehrungen und Auszeichnungen
1952: Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1955: Mitglied der Akademie der Künste Berlin (West)
1963: Tod in München