Autor*in: Frederik Hanssen
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Schwarz-weiß-Fotografie von Gustav Holst, er trägt Anzug, Kravatte und eine Brille und lehnt seinen Kopf auf eine Hand.
Gustav Holst | Bild: Lebrecht Music & Arts / Alamy Stock

Gustav Holst war ein bescheidener Mensch, der Erfolg eher hinnahm als anstrebte. Bei der Durchsetzung seiner künstlerischen Ideale kannte er allerdings keine Kompromisse.

»Wenn man das Glück hat, einen genau ausgewiesenen Weg zu haben, […] dann sollte man versuchen, sich an ihn zu halten, […] egal, ob es Erfolg bringt oder nicht.« Dieses Credo formulierte Gustav Holst 1926 in einem Brief an seinen Komponistenkollegen und lebenslangen Freund Ralph Vaughn Williams. Inspiriert ist es vom Dharma, einem Leitgedanken der hinduistischen Ethik. Sie rückt die Suche nach Weisheit in den Mittelpunkt der persönlichen Lebensführung, befreit im Idealfall von Eitelkeit und Egoismus. Was in der Welt Bedeutung hat – Macht, Geld, Ruhm – wird vor diesem Hintergrund unbedeutend.

Als angehender Komponist, der sich seinen Lebensunterhalt Posaune spielend in einer Tournee-Operntruppe verdienen musste, war Gustav Holst 1899 erstmals mit Sanskritliteratur in Berührung gekommen – und hatte bald beschlossen, Texte aus dem indischen Nationalepos Ramayana zu vertonen. Doch als er in London in der British Library nach Übersetzungen fragte, bekam er nur unbrauchbares Material vorgelegt. Also schrieb er sich an einer Schule für orientalische Sprachen ein, lernte das Sanskritalphabet und brachte es mit viel Mühe immerhin so weit, dass er sich die Texte Satz für Satz mit dem Wörterbuch erschließen konnte.

Inspiriert von indischer Kultur

Diverse Werke entstanden im Laufe der Jahre aus dieser Beschäftigung mit der indischen Kultur: die Choral Hymns from the Rig Veda, die Kantate The Cloud Messanger, eine Tondichtung namens Indra sowie zwei Musiktheaterwerke. Außerdem komponierte er die bis heute immer wieder gespielte Kammeroper Savitri sowie ein groß angelegtes Opus namens Sita, das zu Holsts Lebzeiten kein Theater auf die Bühne bringen wollte und dessen Uraufführung erst im Oktober 2024 in Saarbrücken stattfand, anlässlich des 150. Geburtstags des Komponisten.

Was immer der am 12. September 1874 in Cheltenham geborene Gustav Holst machte, er machte es sehr gründlich. Als Kind verschaffte sich der stets kränkliche, von Asthma und Kurzsichtigkeit geplagte Junge bei seinen Mitschülern dadurch Respekt, dass er Klavier, Geige und Posaune spielen konnte, als Student am Royal College of Music fiel er ebenso durch Zielstrebigkeit auf wie durch eine extreme Rechtschaffenheit.

Lebenskünstler und engagierter Pädagoge

Zeit seines Lebens konnte Gustav Holst nicht vom Komponieren allein leben, doch welche Tätigkeit er auch zu seinem Broterwerb anzunehmen gezwungen war, er erfüllte den Job höchst gewissenhaft. Als Posaunist lernte er 1898 bis 1903 in der Praxis viel über Orchestrierungskunst, danach verdingte er sich als Musiklehrer an zwei Londoner Mädchenschulen sowie am Morley College for Working Men and Women, einem Institut für Erwachsenenbildung. Als engagierter Pädagoge schrieb er aus Unzufriedenheit über das vorhandene Lehrmaterial etliche Chor- und Orchesterwerke für seine Unterrichtszwecke, versuchte parallel aber stets auch, seine Schützlinge zur Entfaltung der eigenen Kreativität zu ermutigen.

»Manche von uns verabreichen Kindern Musik, als sei es Medizin, und erzählen ihnen, es täte ihnen gut«, wetterte er und erklärte, viel wichtiger als die Wissensvermittlung sei im Musikunterricht das Komponieren: »Alle Kinder haben einen Instinkt dafür«, war Holst überzeugt. Die Stücke, die dabei entstehen – »allein aus dem Spaß, sich selbst auszudrücken« – sollten möglichst vor Publikum vorgestellt werden. 

Als »Prüfstein des Erfolges« definierte er dabei »den künstlerischen Genuss, den man beim Aufführen, Schreiben und Hören von Musik empfindet«. Mit den Studierenden des Morley College brachte er 1911 sogar Henry Purcells Semi-Opera The Fairy Queen in der Londoner Victoria Hall heraus, mit Notenmaterial, das die Mitwirkenden in stundenlanger Fleißarbeit von Hand kopiert hatten – es war die erste Aufführung des barocken Meisterwerks seit 1692.

Daniel Harding

Daniel Harding dirigiert Holsts »Planeten«

Ein umgänglicher und humorvoller Mensch

Seine Freunde schätzten Gustav Holst als umgänglichen Menschen, als Mann mit Humor und einem erstaunlich kraftvollen Lachen. In der Öffentlichkeit aber bewegte er sich ungern, schon gar nicht, um Ovationen entgegenzunehmen. Erfolg war ihm suspekt. »Wenn niemandem deine Arbeit gefällt«, postulierte er, »musst du gerade um dieser Arbeit Willen weitermachen; und du gerätst nicht in die Gefahr, dich vom Publikum dazu nötigen zu lassen, nur noch dich selbst zu wiederholen.« An diese Maxime hat sich Gustav Holst auch nach dem weltweiten Siegeszug seiner Orchestersuite Die Planeten gehalten. 

Der Hit brachte ihm Tantiemen und Anerkennung, seine neuartigen Weltraumklänge wurden zur Inspirationsquelle zahlloser Filmmusikkomponisten – doch er ließ den Planeten keine Fortsetzung folgen, sondern er wandte sich bewusst ganz anderen Themenfeldern zu, verfolgte geradezu diametrale Projekte. 

Ein Hit und dann viel Unverständnis

Er schrieb The Hymn of Jesus, eine vom Schriftsteller Thomas Hardy inspirierte Orchestersuite, ein Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester sowie – auf Gedichte von John Keats – eine weitschweifige, klanglich herbe Choral Symphony. Für letztere vermochte sich nicht einmal Holsts engster Freund Ralph Vaughn Williams zu begeistern. Mit Unverständnis reagierten Presse wie Publikum auch auf die späten Opern des Komponisten, auf At the Boar’s Head, die Vertonung der Falstaff-Szenen aus Shakespeares Heinrich IV., auf den im Mittelalter angesiedelten Wandering Scholar und auf den als Wagner- und Verdi-Parodie angelegten Perfect Fool.

Als Holst 1932 die Einladung der Harvard University für eine Reihe von Vorlesungen erhielt, nahm er gerne an. Zumal ihm das Boston Symphony Orchester anbot, Konzerte mit eigenen Werken dirigieren zu können. Doch schon nach der Hälfte der geplanten sechs Monate musste er den USA-Aufenthalt aufgrund einer schweren Magenschleimhautentzündung abbrechen. Zurück in der Heimat reihte sich ein Klinikaufenthalt an den nächsten, schließlich stimmte der Komponist im Mai 1934 einer riskanten Operation zu. Die verlief zwar erfolgreich, doch sein Herz war so sehr geschwächt, dass er zwei Tage später starb.

Schon Holsts Urgroßvater, Großvater und Vater waren professionelle Musiker gewesen, als erste Frau übernahm nun in der fünften Generation seine einzige Tochter Imogen den Staffelstab. Vielseitig begabt, war sie als Pianistin und Dirigentin aktiv, sie komponierte, engagierte sich in der Laienmusikbewegung, veröffentlichte 1938 eine Biografie über ihren Vater, wirkte jahrzehntelang als musikalische Leiterin des unter anderem von Benjamin Britten gegründeten Aldeburgh Festival und war auch als Pädagogin hochgeschätzt. Doch Imogen blieb aus Überzeugung Single – und so endete mit ihrem Tod 1984 die Holst-Dynastie.