Die meisten von uns werden vermutlich Schwierigkeiten haben, ad hoc drei Komponistinnen aus den letzten Jahrhunderten zu nennen, vielleicht fallen uns Hildegard von Bingen, Fanny Hensel oder Clara Schumann ein. Gab es keine weiteren? Natürlich gab es sie! Ihre Werke wurden und werden bis heute allerdings selten editiert, veröffentlicht und aufgeführt – und verharren dadurch allzu oft in der Stille, unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung.
»Ruhm ist der Schatten einer Leidenschaft, die im Licht steht«, sinnierte der libanesisch-US-amerikanische Dichter, Philosoph und Maler Khalil Gibran. In den Genuss dieses »Schattens« kamen die wenigsten Komponistinnen der vergangenen Jahrhunderte, auch wenn ihre Leidenschaft für die Musik zweifellos groß war. Denn das Spotlight der Musikgeschichte war selten und dann nicht dauerhaft auf sie gerichtet. Doch langsam, aber sicher erhalten manche dieser Komponistinnen die verdiente Aufmerksamkeit, Konzert- und Opernhäuser präsentieren vermehrt ihre unbekannten Werke. Auch die Berliner Philharmoniker bieten im Oktober einer faszinierenden und im 18. Jahrhundert durchaus renommierten Komponistin eine Bühne: Marianna Martines (1744-1812).
Dieser neue Fokus auf das Schaffen von Komponistinnen im Konzertbetrieb entwickelt sich in fruchtbarer Wechselwirkung mit der seit Jahren aufblühenden Forschung rund um das Thema Gender und Musik mit Kongressen, Publikationen und Studien. So wird der Scheinwerfer auf die Musikgeschichte allmählich neu ausgerichtet, nicht nur in Bezug auf aktuelle Komponistinnen, sondern auch rückwirkend, mit Blick auf die letzten Jahrhunderte. Eine lohnende Erweiterung der Perspektive!
Die Lebensrealität von Frauen war lange Zeit durch große Abhängigkeiten geprägt, ihre Möglichkeiten in der »Hochkultur« waren eng an ihre gesellschaftliche Rolle geknüpft – an ihr Vermögen und damit verbunden natürlich auch an ihre Bildung. Talentierte Frauen waren im 18. Jahrhundert vor allem als Primadonnen in der Oper gefragt, auch als Instrumentalistinnen machten sich einige einen Namen, etwa die in Mannheim als Organistin tätige Anna Maria Bardele oder auch die Glasharmonika-Virtuosin Marianne Kirchgessner und die Pianistin Maria Theresia Paradis.
Zudem konnten Frauen als Mäzeninnen oder Veranstalterinnen von musikalischen Salons oder Konzerten in Erscheinung treten – allerdings in der Regel nur, wenn sie wohlhabend verheiratet waren. Nur im betuchten, bestenfalls adeligen Umfeld war es Frauen möglich, an der Welt der »klassischen Musik« teilzuhaben und diese gar selbst zu prägen. Dies galt ganz besonders für den Bereich des Komponierens. So waren Frauen – als begabte Ehefrauen, Töchter oder Schwestern – angewiesen auf das Wohlwollen und die Förderung durch ihr männliches Umfeld. Dass begabte Söhne dabei in der Regel deutlich stärker in ihren Karrieren unterstützt wurden als begabte Töchter, lässt sich u.a. an der Familie Mozart und später an der Familie Mendelssohn ablesen.
Starke patriarchalische (Moral-)Vorstellungen erschwerten zusätzlich den Weg von Frauen ins künstlerische Schaffen, lange Zeit wurde ihnen schlichtweg das Talent zum Komponieren abgesprochen. Gut bezahlte Ämter in diesem Bereich und die öffentliche Anerkennung blieben ihnen – bis auf wenige Ausnahmen – verwehrt. Einzelne Komponistinnen wie Franziska Danzi-Lebrun, Prinzessin Anna Amalie von Preußen, die jüngste Schwester Friedrichs des Großen, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach und Marianna Martines wussten zwar dieses Vorurteil im 18. Jahrhundert mit ihren Werken souverän zu widerlegen. Die Schieflage in der Wertschätzung weiblichen Komponierens veränderte dies im Grundsatz jedoch nicht.
Marianna Martines, 1744 in Wien geboren, scheint mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein, großer Schaffenskraft und zahlreichen Talenten ihren Weg als Künstlerin verfolgt zu haben. Sie war Tochter des Zeremonienmeisters des apostolischen Nuntius in Wien. Ihre Familie stand in engem Kontakt mit dem Wiener Hof und war u.a. mit dem Wiener Hofpoeten Pietro Metastasio befreundet. Dieser erkannte Martines‘ Begabung und wurde ihr erster prägender Förderer und Lehrer. Auf seine Vermittlung hin erhielt sie später Unterricht bei Wiener Größen wie Nicola Porpora und Joseph Haydn.
So machte Martines schon früh als komponierendes Wunderkind auf sich aufmerksam und sie hatte – mit ihrer musikaffinen Familie und in Wien als einem der bedeutendsten kulturellen Zentren im 18. Jahrhundert – ungewöhnlich gute Voraussetzungen für ihre Entwicklung. Als erste Frau überhaupt wurde sie 1773 in die renommierte Accademia Filarmonica di Bologna aufgenommen, einen illustren Kreis, dem u.a. auch Arcangelo Corelli, der Sänger Farinelli, Johann Christian Bach, Karl Ditters von Dittersdorf und Wolfgang Amadeus Mozart angehörten.
Der englische Musiker und Musikhistoriker Charles Burney, der sie auf einer seiner Reisen in Wien erlebte, war fasziniert von Martines‘ Vielfachbegabung: »Sie übertraf wirklich noch die Erwartung, die man mir von ihr beigebracht hatte. Sie sang zwo Arien von ihrer eignen Komposition über Worte von Metastasio, wozu sie sich selbst auf dem Flügel akkompagnierte, und zwar auf eine wohlverstandne, meisterhafte Manier.« Denn nicht nur als Komponistin wurde sie zu ihrer Zeit in Wien gefeiert, sondern auch als Cembalovirtuosin und Sängerin.
Ihre häuslichen Akademien, an denen u.a. Wolfgang Amadeus Mozart teilnahm, galten zudem als ein musikalischer Hotspot Wiens. Eine finanzielle Absicherung erhielt Marianna Martines dadurch, dass Metastasio ihr und ihren Geschwistern nach seinem Tod sein Vermögen hinterließ. Ökonomisch gesehen war eine Ehe daher für sie nicht notwendig – und sie widmete sich ihr Leben lang ganz der Musik. Ihr überliefertes Vermächtnis, neben vielen heute verschollenen Werken: mehrere Messen und Psalmvertonungen, Litaneien und Oratorien, Kantaten und Motetten sowie mehrere Cembalo-Sonaten, Cembalo-Konzerte und eine Sinfonia, die die Berliner Philharmoniker im Oktober 2023 zur Aufführung bringen werden.
Auch wenn Marianna Martines zur Zeit Mozarts in Wien als profilierte Musikerin und Komponistin galt – heute ist ihr Oeuvre ein Schatz, der gehoben werden will. Dass es mittlerweile viele spezielle Programme, Stipendien und Wettbewerbe zur Förderung von Komponistinnen gibt, ist als wichtiges Korrektiv für die Musikgeschichtsschreibung der letzten Jahrhunderte zu werten. Doch solange diese Programme nötig sind, solange in den Portfolios der Verlage und in den Diskografien der Labels noch keine oder nur wenige Werke von Komponistinnen zu finden sind, ist Gendergerechtigkeit im Berufsbild Komponieren noch längst keine Realität, sondern Zukunftsmusik.
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