Die Schönheit und die Gefährdung der Natur hat die Biennale der Berliner Philharmoniker unter dem Titel »Paradise lost?« zum Thema. Vier Naturbilder aus unterschiedlichen Kontinenten stellt Marin Alsop, Pionierin am Taktstock, vor und gibt mit dem Konzert gleichzeitig ihr Debüt beim Orchester.
»Sie ist einfach fabelhaft« – Diese ebenso schlichten wie bewundernden Worte stammen von Leonard Bernstein. Gemeint ist Marin Alsop, die wiederum selbst voller Bewunderung für den großen Dirigenten ist: »Erst war er mein Idol, dann der Grund, warum ich Dirigentin wurde. Als er schließlich mein Lehrer wurde, war das wie der Eintritt ins Paradies.« Ob dem legendären Dirigenten damals schon die prophetische Tragweite seiner Worte bewusst war? Die 1956 in New York geborene Marin Alsop hatte die Yale und die Juilliard School of Music besucht und bei Leonard Bernstein und Seiji Ozawa studiert. Was dann folgte, war eine geradezu märchenhafte Karriere: Als erste Frau hat sie eines der großen Symphonieorchester in den USA geleitet, als erste Frau wurde sie Chefdirigentin beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien, und 2013 wurde sie als erste Frau, die die »Last Night of the Proms« dirigierte, ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen.
Ein Name fehlt bisher allerdings auf der schier endlosen Liste internationaler Orchester, die sie bereits dirigiert hat, und zwar die Berliner Philharmoniker. Doch bald schon schließt sie auch diese Lücke, wenn sie im Februar ihr Debüt beim Traditionsklangkörper gibt. Im Interview spricht sie von der besonderen Aura und der Mystik, die ein Orchester wie die Berliner Philharmoniker umgeben, und genau die möchte sie in sich aufsaugen. Sie, die als eine der ersten Frauen, gegen alle Widerstände und Vorurteile, für Furore gesorgt hat in der männerdominierten Welt der Dirigenten.
So wie sie spricht, dirigiert sie auch: klar, präzise und schnörkellos. Da gibt es keine Show, keine theatralische Gestik, um den Anschein von Ausdruck zu vermitteln, bei ihr kommt alles aus dem Innersten der Musik. »Man muss so leidenschaftlich an der Musik interessiert sein, dass man sich fast darin verliert«, sagt sie. Bei YouTube gibt es ein Video mit dem Finale aus Gustav Mahlers 2. Symphonie, in dem man spüren kann, wie sehr sie in der Musik aufgeht und gleichzeitig doch in jeder Sekunde die Orchester-Zügel fest in der Hand hält.
Für ihr Debüt bei den Berliner Philharmonikern hat sie ein Programm zusammengestellt, das ihre Vorliebe für abwechslungsreiches Repertoire ebenso demonstriert wie ihre oft klugen Konzertdramaturgien. In diesem Fall geht es um »einen Blick auf die Natur aus vielen verschiedenen Perspektiven«. Als Reverenz an ihre US-amerikanische Heimat steht Aaron Coplands Appalachian Spring, die Suite ist für sie »der Inbegriff amerikanischer Natur und amerikanischer Folklore«. An ihre zweite »Heimat« Brasilien – sieben Jahre war sie dort Chefdirigentin beim São Paulo Symphony Orchestra – erinnert sie mit Heitor Villa-Lobos, der ebenfalls »eine innige Verbindung zur Natur hatte«.
Fire Music von Brett Dean, der bis 1999 selbst Mitglied bei den Berliner Philharmonikern war, bezieht sich hingegen auf die verheerenden Buschbrände in Australien im Jahr 2009. »Es geht aber auch um Feuer als Quelle der Erneuerung«, betont sie die vielfältigen Beziehungen und Assoziationen des Programms. Komplettiert wird es durch die Uraufführung von Day Night Day der finnischen Komponistin Outi Tarkiainen, deren Schaffen von ihrer Heimat Lappland inspiriert ist.
»Ich hatte das Privileg, viele unglaubliche Orte auf dieser Welt zu sehen, die Serengeti, die Galapagos-Inseln, den brasilianischen Amazonas«, sagt Marin Alsop bezogen auf ihr Verhältnis zur Natur und sie wirft einen düsteren Blick in die Zukunft: »Ich fürchte, wir haben den Wendepunkt überschritten, um das alles zu erhalten, wenn ich mir den überheblichen Umgang des Menschen mit unserem Planeten anschaue.« Sie selbst fährt mittlerweile ein E-Auto und wird trotzdem von einem schlechten Gewissen geplagt, »weil wir als Dirigenten ständig im Flugzeug sitzen«. Immer drängender stellt sich ihr die Frage: »Reicht das, was wir tun? Vielleicht können Konzerte und Festivals wie dieses zumindest den Dialog darüber anstoßen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass Musik die Probleme der Welt lösen kann. Aber sie ist ein wunderbares Medium, das manchmal emotionale Türen öffnet, Dinge möglich macht, die mit Diskussion und Sprache schwierig zu erreichen sind.«
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