Autor*in: Nicole Restle
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Martha Argerich
Martha Argerich | Bild: Adriano Heitman

Die Pianistin Martha Argerich wird oft als Grande Dame des Klaviers bezeichnet. Das Naturtalent konnte bereits mit zwölf Jahren »alles spielen«, doch allein im Rampenlicht fühlt sich Argerich einsam. Deshalb teilt sie sich die Bühne lieber mit langjährigen Weggefährten, wie zuletzt immer öfter bei den Berliner Philharmonikern mit Daniel Barenboim. Ein Porträt

»Sprechen ist schwieriger als spielen«, bekannte Martha Argerich in einem ihrer seltenen Interviews. Das, was sie zu sagen hat, drückt die Pianistin lieber in Tönen aus – mit einer temperamentvollen, zupackenden, energetischen Spielweise, die trotz aller technischer Brillanz poetisch, klangsinnlich und voller Leichtigkeit ist. Wegen der gespannten Aufmerksamkeit, mit der sie am Klavier sitzt, ihrer flinken Finger, die raubtierhaft über die Tasten springen, feiert die Presse sie daher auch mit Bezeichnungen wie »Tigressa« oder »Raubkatze am Klavier«, aber auch einfach als »Bella Martha«. Sie gilt als eigenwillig, kapriziös, sie selbst bezeichnet sich als »chaotisch«. Doch sie kann – wie zum Beispiel die Dokumentation ihrer Tochter Bloody Daughter berührend zeigt – auch ganz anders sein: scheu, verletzlich, reflektiert. 

Vom Wunderkind zur Jahrhundertmusikerin

Martha Argerichs außergewöhnliches Talent zeigte sich schon im Kindergarten, als sie dort bereits als Dreijährige Melodien fehlerfrei auf dem Klavier nachspielte. Von da an begann für die gebürtige Argentinierin, Tochter eines Mathematikprofessors und einer Mutter mit jüdische Vorfahren aus dem russischen Kaiserreich, eine Karriere als Wunderkind. Siebenjährig debütierte sie als Solistin von Beethovens Erstem Klavierkonzert in der Öffentlichkeit. Mitte der 1950er-Jahre verlieh Juan Perón, Argentiniens damaliger Präsident, Marthas Vater den Diplomatenstatus, um ihm eine Stelle an der Botschaft in Wien zu ermöglichen – damit seine Tochter bei dem ebenso genialen wie unkonventionellen österreichischen Pianist Friedrich Gulda studieren konnte. Der wusste der Zwölfjährigen kaum mehr was beizubringen, »weil das Mädel ja alles konnte«. Obwohl Sie das frühe Rampenlicht und die Aufmerksamkeit nicht sehr genoss, schaffte es Argerich das Wunderkind-Image abzustreifen und eine Weltkarriere zu starten.

Bei den Berliner Philharmonikern

Als Martha Argerich im März 1968 mit Bartóks Drittem Klavierkonzert bei den Berliner Philharmonikern debütierte, hatte die damals 27-jährige nicht nur den renommierten Internationalen Chopin-Wettbewerb gewonnen, sondern auch eine schwere Lebenskrise hinter sich: Nach der Geburt ihrer ersten Tochter empfand sie sich selbst nur noch als Klavier spielende Hausfrau und zog sich Anfang der 1960er-Jahre komplett von der Bühne zurück. Erst auf Drängen ihres Lehrers Stefan Askenase kehrte sie 1964 ins Rampenlicht zurück. 

Ihr Einstand bei den Berliner Philharmonikern war – laut Tagesspiegel – »ein Debüt, wie man es nicht alle Tage erlebt«. Sie spielte das Bartók-Konzert »auf atemberaubende Weise neu. Endlich kommt jemand und zeigt, wieviel Kammermusik in der Partitur steckt, legt die herrlichen dynamischen Schattierungen der Partitur bloß und formuliert ihren impressionistischen Farbenreichtum auf.« 

Dieser Auftritt bildete nur den Auftakt für weitere großartige Konzertabende: Martha Argerich, die ein beeindruckend breites Repertoire beherrscht, begeisterte das Publikum der Philharmoniker mit Klavierkonzerten von Tschaikowsky, Ravel, Chopin und Prokofjew – und immer wieder mit dem Zweiten von Beethoven und dem a-Moll-Konzert von Schumann, einem Komponisten, dem sie sich besonders verbunden fühlt und dessen gegensätzliche Empfindungswelten sie so wunderbar zu gestalten weiß. 

Die Teamplayerin

Besonders häufig kam Martha Argerich während der Chefdirigentenzeit von Claudio Abbado zu den Berliner Philharmonikern, reiste mehrmals mit ihnen nach Salzburg und war Gast im Silvesterkonzert 1992. Ein besonderes Highlight in jener Zeit: In Abaddos Prometheus-Zyklus übernahm sie den hochvirtuosen Klavierpart von Alexander Skrjabins Prométhée ou Le Poème du feu. Einen Eindruck von dieser spektakulären Aufführung gibt eine Konzertaufzeichnung in der Digital Concert Hall.

Nach der Ära Abbado wurden ihre Auftritte seltener, nur zweimal, 2007 und 2014, war sie Gast der Berliner Philharmonikern. Doch 2023 kehrte sie zum Orchester zurück, in diesem Rahmen zum ersten Mal gemeinsam mit ihrem Jugendfreund Daniel Barenboim. Ein Gänsehautmoment: Als die beiden das Podium betreten, »füllen sie – noch bevor ein einziger Ton erklingt – den Raum. Mit Schönheit, Liebe, Erinnerung.« (Die Zeit). Mit Barenboim gemeinsam kam sie fortan wieder öfters.

Martha Argerich, eine begeisterte Förderin junger Nachwuchskünstler*innen, liebt das Musizieren in der Gemeinschaft. Orchester- aber mehr noch Kammermusikkonzerte sind ihre Sache, nicht das Solorecital. Ganz allein, quasi »nackt«, auf der Bühne sitzen mag sie nicht, zu überwältigend ist dann für sie das Gefühl der Einsamkeit. Viel beglückender empfindet sie den Austausch mit anderen. »Musik ist für mich ein wunderbares Kommunikations-Tool«, meinte sie einmal. Und so bleibt sie ihrer Natur treu: Sie spielt eben lieber, als dass sie spricht.