Zahlreiche Anhänger und Freunde Mahlers waren dabei, als 1908 die Siebte Symphonie in Prag uraufgeführt wurde, darunter Alban Berg und die Dirigenten Otto Klemperer und Bruno Walter. Obwohl Mahler in vieler Hinsicht ein Individualist war, suchte er den persönlichen und professionellen Austausch mit anderen. Seine Kontakte sagen uns viel über Gustav Mahler und seine Welt.
Als Gustav Mahler in Prag seine Siebte Symphonie für die Uraufführung einstudierte, tat er das mit der ihm eigenen Sorgfalt. In zwei Wochen soll er über zwanzigmal mit dem Orchester geprobt haben, verfolgt von einer Schar von Bekannten, Verehrern, Kollegen und Schülern.
Seine Ehefrau Alma erzählt: »Viele Freunde waren nach Prag gekommen. Geheimrat Neisser, Berliner, Gabrilowitsch, und die Jungen dort: Alban Berg, Bodanzky, Keußler, Klemperer, alle halfen Mahler, Korrekturen in die Partitur und in die Stimmen zu übertragen, denn es zeigten sich ihm bis zur Generalprobe Unstimmigkeiten im Klang, so dass er unausgesetzt abänderte, solange vor der Drucklegung noch eine Möglichkeit hiefür vorhanden war.«
Einer der Beteiligten – der Dirigent Otto Klemperer – hat indessen abweichende Erinnerungen an diese Proben hinterlassen: »Jeden Tag nahm er das ganze Orchestermaterial mit nach Hause, verbesserte, feilte, retuschierte. Wir anwesenden jungen Musiker, Bruno Walter, Bodanzky, von Keußler und ich, wollten ihm gerne helfen. Er duldete es nicht und machte alles allein.«
Vieles an diesem Schnappschuss ist typisch: Schnell scharten sich Menschen um den charismatischen Mahler, er selbst hingegen hielt die meisten auf Distanz. Mahler hatte durchaus gerne Leben um sich. Aus einer kinderreichen Familie stammend, war er es gewohnt, in Gemeinschaft zu sein. In seine Sommerurlaube reiste er fast immer mit einer kleinen Gruppe – seiner Schwester Justine, zeitweise anderen Freunde, nach der Heirat mit Alma dann mit seiner eigenen kleinen Familie –, erst in den letzten Jahren nahm sein Bedürfnis nach Ruhe überhand.
Überall, wo er wirkte, schmückten sich Intellektuellenzirkel mit ihm, er war Gast in den angesagten Salons, selbst wenn er oft nur stumm dabei saß. Sobald aber die Konversation in oberflächliches Gerede abflachte, ergriff er die Flucht. Einen Freundeskreis gab es also immer um Mahler. Viele seiner Jugend- und Studienfreunde – Friedrich Löhr, Arnold Berliner, Emil Freund – boten ihm geistige Anregungen und stärkendes Mitgefühl.
Aus Briefen mit ihnen spricht Vertrautheit und Vertrauen, Mahler offenbart innerste Empfindungen, gelegentlich auch Einblick in seine schöpferische Inspiration. Wenige dieser Freundschaften hielten gleichwohl das ganze Leben. Mahler war empfindlich, und man konnte ihn leicht verletzen. Die meisten Verbindungen allerdings klangen einfach aus, sobald sich räumliche Entfernung dazwischendrängte.
Andere begleiteten anhaltend und treu Mahlers Weg. »Es gab ihrer schon bei seinen Lebzeiten viele, viele«, erinnerte sich der Musikschriftsteller Paul Stefan 1920: »[Die] ihn geliebt haben, sind ein Teil seines Wesens geworden, das fortlebt.« Dazu gehörten die Dirigenten Arthur Nikisch und Hans von Bülow, auch einstige Assistenten und Schüler wie Bruno Walter, Otto Klemperer, Oskar Fried, Oskar Nedbal und Willem Mengelberg.
Den engsten Umgang mit Mahler aber pflegten diejenigen, die ihm privat nahestanden. Allen voran war das Mahlers Lieblingsschwester Justine, die ihm auch äußerlich ähnlich war. Als 1889 die Eltern und seine Schwester Leopoldine starben, musste Mahler als Ältester für seine vier Geschwister sorgen.
Justine stand ihm dabei zur Seite, führte von nun an seinen Haushalt, während Mahler die jüngeren drei finanziell unterstützte. In seiner Zeit als Hamburger Kapellmeister war sie stets um ihn, und auch in Wien, wo Mahler 1887 Direktor der Hofoper wurde, bezogen sie anfangs eine gemeinsame Wohnung. Erst mit Mahlers Frau Alma kam die Entfremdung. Almas Eifersucht soll Justine ihr mit beißender Schärfe heimgezahlt haben: »Eines freut mich, ich habe ihn jung gehabt, und du hast ihn alt!«
Die Musikerin, Autorin und Frauenrechtlerin Natalie Bauer-Lechner lernte den zwei Jahre jüngeren Mahler 1877 bei Proben zu einer seiner Symphonien kennen, wo er auf sie einen »unauslöschlichen Eindruck« machte.
Eine engere Bekanntschaft begann mit Bauer-Lechners Besuch in Budapest 1890, und zwischen 1892 und 1901 begleitete sie Mahler bei Sommerurlauben in Berchtesgaden, Steinbach am Attersee, in Tirol und in Maiernigg am Wörthersee, gemeinsam mit seinen Schwestern Justine und Emma.
Mit Mahler teilte sie die Freude am Schwimmen, Wandern und Fahrradfahren – und genoss sein Vertrauen in langen Gesprächen über das Leben und die Musik, die sie sorgsam für die Nachwelt aufzeichnete. Darunter finden sich freimütige Aussagen über sein Schaffen und sein Selbstbild, wenn er zum Beispiel bekennt, »nicht für die Welt« zu schreiben, »die es noch weniger als alles andere aufnehmen und verstehen wird – […] nur für mich mache ich, was ich schaffe.«
In ihren Erinnerungen resümiert Natalie: »So verflogen uns die Tage, in denen wir einander lieb und gewohnt wurden, als hätten wir uns von jeher gekannt und wie Geschwister zusammen gelebt. Und dieses Gefühl war vielleicht umso sicherer, als es nicht erleuchtet, aber auch nicht überglüht und geblendet von Leidenschaft war.« Dass sie sich mehr erhoffte von Mahler, verschweigt sie diskret. Spätestens als Alma in sein Leben trat, war für die sublimierte Liebe Natalie Bauer-Lechners kein Platz mehr, und sie verschwand wie spurlos aus Mahlers Kreis.
Dieses Schicksal teilte sie mit vielen Menschen, die Mahler vor Alma nahe waren. Auch Siegfried Lipiner, Dichter und einziger Freund aus Studienzeiten, ging es so. Aus einer jüdischen Familie in Galizien stammend, ging er zum Studieren nach Wien, lernte dort Mahler kennen, trat intensiv, wenngleich kurz in Kontakt mit Richard Wagner und Friedrich Nietzsche und wurde Bibliothekar des österreichischen Parlaments.
Texte Lipiners inspirierten Mahler bei der Konzeption sowohl der Zweiten als auch der Dritten Symphonie, dann jedoch ging die Verbindung auseinander infolge wechselseitiger Abneigung zwischen Lipiner und Mahlers junger Braut. Bruno Walter führte die verlorenen Freunde wieder zusammen, als Mahler in erschütterter Gemütsverfassung seine Neunte Symphonie entwarf: »Die Fragen nach Gott, nach dem Sinn und dem Ziel unserer Existenz und nach dem Warum des unsäglichen Leides in der ganzen Schöpfung umdüsterten seine Seele. Zu dem ihm teuersten Freunde, dem Dichter Siegfried Lipiner […], trug er diese Not seines Herzens. Immer wird mir das Entzücken, mit dem Mahler mir von jenen Unterhaltungen berichtete, eine freudige und rührende Erinnerung sein.« Lipiner überlebte Mahler nur um ein halbes Jahr und starb im Dezember 1911.
Viele weitere Namen wären zu nennen: der schon aus Prager Zeiten mit Mahler bekannte Musikwissenschaftler Guido Adler, der Verleger Emil Hertzka, die Journalisten und Mahler-Vorkämpfer Paul Stefan und Richard Specht. Als Hofoperndirektor, der sich für umfassende Reformen des verknöcherten Musiktheaterbetriebs einsetze, fand Mahler zudem Gleichgesinnte unter progressiven Wiener Malern, Schriftstellern und Intellektuellen – Hugo von Hofmannsthal, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Gustav Klimt, Sigmund Freud.
Als ebenbürtiger Partner herauszuheben ist der Maler Alfred Roller, den Mahler 1903 als »Vorstand des Ausstattungswesens« an die Wiener Hofoper holte; dort unterstützte er Mahlers Bemühen um Reformen, wovon sich eine epochale Neuinszenierung von Tristan und Isolde vier Jahrzehnte lang im Spielplan hielt. 1920 gründete Roller mit Max Reinhardt und Richard Strauss die Salzburger Festspiele.
Letzterer ist vielleicht der wichtigste unter denen, die Freund hätten werden können. Zwei unbestrittene Könner trafen sich da, fast gleichaltrig, beide Doppelbegabungen als Komponisten und Dirigenten, beide schließlich mit viel Ehrgeiz und durchwachsener Fortüne als Operndirektoren in Wien tätig. Ihr Können stand auf vergleichbarer Höhe, aber ihre Kunstauffassung war verschieden genug, dass sie einander nicht in die Quere kamen. Und beide förderten das Werk des anderen.
Mahler erkannte sofort die Bedeutung der Salome, die ihm einen »hinreißenden Eindruck« machte, und schrieb Strauss: »Das ist Ihr Höhepunkt bis jetzt! Ja, ich behaupte, dass sich nichts damit vergleichen lässt, was sogar Sie bis jetzt gemacht haben. […] Sie sind der berufene Dramatiker!« Sofort setzte er sich für eine – letztlich an der Zensur gescheiterte – Wiener Aufführung ein. Strauss wiederum bezeichnete sich selbst als den »ersten Mahlerianer«, bewunderte den »großen Aufbau« der Zweiten, hielt die Dritte für ein »herrliches«, ein »schönes Werk« und streckte vor dem Adagio der Vierten verehrungsvoll die Waffen: so etwas hätte er »nicht machen« können.
Mahler scheint sich eine größere Nähe gewünscht zu haben. Aber Freunde wurden sie nur beinahe – dazu war Strauss zu pragmatisch, Mahler zu enigmatisch. Der Münchner sah aufs Geld, sprach bei Empfängen ungeniert von Tantiemen, platzte auch einmal mit jovialen Bemerkungen in die Künstlergarderobe Mahlers, der sich gerade im Konzert völlig verausgabt hatte. Das hielt Mahlers Nervensystem nicht aus, da empfand er an Strauss’ dann »Kühle«, sogar »Kälte«. Nach einer enttäuschenden Begegnung schrieb er an Alma: »Ich bin nun ganz irre an mir und der Welt, wenn ich so was immer wieder aufs Neue erlebe! Sind denn die Menschen aus einem anderen Stoff als ich?« Der alte Strauss, inzwischen 82, las diese Zeilen in der von Mahlers Witwe herausgegebenen Briefauswahl – und notierte lapidar am Rand: »Ja«.