Vom ländlichen Pennsylvania in die Weltstadt New York, vom kleinen Beethoven-Maniac zum »neuen Mozart unseres Jahrtausends«. Mit sieben begann sie Klavier zu spielen, mit zehn zu komponieren. Heute schreibt sie Opern, Werke für Soloklavier, für Geige oder E-Gitarre und für ihre Band. Missy Mazzoli: Komponistin, Pianistin, Performerin.
»Am Tag meines Uni-Abschlusses bin ich einfach in diesen Transporter gestiegen und mit einer Freundin nach New York gezogen«, blickt Missy Mazzoli auf einen entscheidenden Schritt in ihrem Leben zurück. Vom Alltag in Big Apple zehrt sie bis heute – als Mensch und als Komponistin. »Es fühlte sich einfach nach dem aufregendsten Ort der Welt an. Und ich wusste, wenn ich einmal in New York lande, würde ich nie mehr wegwollen. Ich denke, weil ich in einer Kleinstadt aufgewachsen bin, fühlt es sich wie ein Sieg an. Jeder Tag, den ich hier lebe, ist wie ein Sieg.«
Zunächst ist Missy Mazzolis Welt eine kleine, eingeschränkte, isolierte. Sie wächst in Pennsylvania, im ländlichen Lansdale, auf. Auf den langen Autofahrten kommt sie über das Radio zur Musik. Doch ist ihr die Musik von Anfang an mehr als ein bloßer Zeitvertreib. Die junge Missy stellt fest, dass Musik ihre Pforte in eine faszinierende Welt ist, ein Zugang zu unterschiedlichen kreativen Feldern: In Liedern verbindet sich Musik mit Literatur und Poesie, in der Oper mit Theater und Malerei. Alles fließt hier zusammen.
Zugleich dient ihr die Kreativität als ordnendes Prinzip komplexer Zusammenhänge: »Man nimmt sich den globalen Datensatz und lässt etwas sehr Organisiertes daraus entstehen. Ein Stück Musik hat einen Anfang und ein Ende und gliedert sich in diese vielen kleinen Teile, ganz buchstäblich durch die Taktstriche. Es ist ein Weg, der Welt, der Zeit und komplexer Gedanken eine Struktur zu geben.«
Vor allem Beethoven zieht sie früh in einen Bann: Wie besessen befasst sie sich mit seinem Leben und seinem Werk, legt Tabellen zu seinen Symphonien an. Mit sieben Jahren beginnt sie Klavier zu spielen, drei Jahre später komponiert sie erste eigene Stücke, die sie selbst spielt. Dieser performative Aspekt ist bis heute ein wichtiger Teil ihrer künstlerischen DNA.
Während Mazzoli mit der Musik zunächst noch ihr persönliches Menschsein in einer komplexen Welt spiegelt, fasst sie den Blinkwinkel immer weiter und nimmt mehr und mehr den Menschen an sich in den Fokus ihrer Arbeit. Der Mensch als »die faszinierendste Sache der Welt«, der Mensch im Verhältnis zu seinen Mitmenschen, der Mensch in seiner Umwelt: »Ich habe das Gefühl, dass ein Großteil meiner Arbeit von menschlichen Beziehungen handelt und von unserem Bedürfnis und unseren Versuchen, als Menschen miteinander zu kommunizieren.«
Doch an Kommunikation und Austausch mit gleichgesinnten Musiker*innen mangelt es in Lansdale. Auf zeitgenössische, avantgardistische oder experimentelle Strömungen trifft sie hier nicht. So beruhen alle künstlerischen Einflüsse lange auf Vergangenem. Das ändert sich erst mit ihrem Studium an der Boston University, dem Koninklijk Conservatorium Den Haag und der Yale School of Music – und schließlich in New York.
Es ist Mazzoli wichtig, eine Künstlerin ihrer Generation zu sein, den Zeitgeist einzufangen, Musik zu schreiben, die nur im Hier und Jetzt entstehen kann – inhaltlich wie akustisch. Ob Solowerk, Kammermusik oder Oper, Instrumental- oder Vokalmusik: Ihre Werke setzen sich aus tonalen und atonalen, aus vertrauten und unbekannten Komponenten zusammen. Häufig spielt Mazzoli mit dem Moment der langsamen, aber steten Veränderung. Klassische Klangfarben bekommen immer größere Schatten, Klangflächen erhalten unerwartete Risse, aus Wohlbefinden wird Unbehagen.
Inhaltlich wird ihr künstlerischer Gegenwartsbezug in ihren Opern besonders deutlich, eine Gattung, die sie in vielerlei Hinsicht erfüllt: »Es beruht in hohem Maße auf Zusammenarbeit und ich habe die Gelegenheit, Geschichten zu erzählen. Es ist so viel los in Amerika und der Welt, daher rührt der Drang, diese Geschichten zu erzählen. Im Grunde ist in diesen Tagen jede Nachrichtensendung eine Oper.«
Die kritische Bezugnahme zur Gegenwart und ihrer Gesellschaft ist immer spürbar: In Proving Up ist eine Familie aus Nebraska, die im 19. Jahrhundert versucht, sich den amerikanischen Traum zu erfüllen, oder die Lebensgeschichte der schweizerischen Pionierin der Frauenbewegung Isabelle Eberhardt in Song from the Uproar. Ihre für 2026 angekündigte Oper The Galloping Cure versetzt Franz Kafkas Kurzgeschichte Der Landarzt in die Szenerie der aktuellen Opioidkrise in den USA.
Und ihre Musik kommt an – im Kulturbetrieb, bei Fachleuten und Publikum. Sie erhält Kompositionsaufträge aus aller Welt und ist gemeinsam mit Jeanine Tesori die erste Auftragskomponistin an der Metropolitan Opera in New York. Ihre Vespers für Solovioline wurden für den Grammy nominiert, Cathedral City, das Debütalbum mit ihrer Band Victoire, von der New York Times als eines der besten klassischen Alben der 10er-Jahre bezeichnet. Die Presse feiert sie als Komponistin mit »apokalyptischer Fantasie« voller Originalität und Überraschung, als »Wegbereiterin der klassischen Musik des 21. Jahrhunderts«.
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