Romantische Komponisten wie Franz Schubert und Carl Maria von Weber entführen uns mit ihren Werken in eine Welt der Fantasie. Hier träumten sie sich an magische Orte, hier erkundeten sie die eigene Seele. Diese Welt bot eine Zuflucht vor den Zumutungen des realen Lebens und war zugleich eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Große Werke entstanden, die uns noch heute etwas über die menschliche Innenwelt verraten.
»Die klassische Musik gleicht dem gestirnten Himmel; wir können die Sterne nicht greifen; wir können sie nicht einmal begehren. Die romantische Musik ist unsere Musik, zugleich Erfüllung und unendliche Sehnsucht [...]. Romantik als Symbol der Spaltung und des Willens, diese Spaltung zu überwinden, ist ein ewiges Prinzip der Kunst.« So resümiert der Musikschriftsteller Alfred Einstein seine Beobachtungen über die Romantik in der Musik.
Er schlägt darin den Bogen von Franz Schubert zu Richard Wagner, wohl wissend, dass die Zeitgenossen schon Ludwig van Beethoven als Inkarnation der Romantik aufgefasst hatten und dass noch mindestens eine, wenn nicht mehr Generationen als Nachzügler die Spätromantik formten – womöglich bis ins 20. Jahrhundert hinein. Indem E. T. A. Hoffmann die Musik als »die romantischste aller Künste« bezeichnete, hat er gezeigt, wie intensiv schon die Zeitzeugen spürten, dass sich in der Musik Neues auftat, dass sich vor ihren Ohren ein grundlegender Wandel ereignete.
Im Zusammenspiel von zwei Kompositionen, Carl Maria von Webers Oberon-Ouvertüre und Franz Schuberts »Großer« C-Dur-Symphonie, mit denen Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker die Saison 2021/22 eröffnen, lässt sich dieser Wandel hörend nachvollziehen. Und zwar schon in den ersten Takten: Beide Werke beginnen mit unbegleiteten Hörnerklängen, und immer wieder tritt das Horn aus dem Orchesterklang hervor. Dass zwei Komponisten in zwei fast gleichzeitig entstandenen Werken dieses Instrument so prominent einsetzen, kommt nicht von ungefähr.
Das Horn steht symbolisch für die neuen Bahnen der Romantik und ist selbst Symbol für ein Bündel an Bedeutungen. Das altertümliche »Waldhorn« ist ein wahrhaft sprechender Name: Vom klingenden Zeichen für die Jagd und den Wald erweiterten sich damals die Assoziationen zu unverbildeter Natur, unendlicher Ferne und einer allgemeinen Sehnsucht des Menschen. Wesentlich trug dazu der weiche, unbestimmte Klang des Horns bei, der wie ein von Weitem herüberwehender Ton, ja wie ein Echo seiner selbst wirken kann und durch seine zerfließenden Konturen die der Musik innewohnende Vergänglichkeit repräsentiert.
Weber und Schubert, nur gut ein Jahrzehnt nacheinander auf die Welt gekommen, waren bekannt miteinander, fast Freunde. Mehrmals kreuzten sich ihre Wege: Vor allem gehörten beide der ersten Komponistengeneration an, die auf Ludwig van Beethoven folgte und sich an dessen Maßstab messen musste. »Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?«, hatte sich Schubert gefragt, als er sich nach manchen abgebrochenen Versuchen noch einmal an eine Symphonie wagen wollte.
Vielleicht wollte er sich eher Mut zusprechen als in Ehrfurcht versinken – jedenfalls fand er in einer Art inneren »Opposition zur Übermacht Beethoven«, wie es der Dirigent und Musikschriftsteller Peter Gülke formulierte, dann etwas, was Beethoven noch nicht gemacht hatte. Alfred Brendel stellt (in seinen als Buch erschienenen Gesprächen mit Gülke) dem »straffen« Komponisten Beethoven den »elastischen« Schubert gegenüber: Bei diesem werde das Leben »nicht gemeistert, sondern es passiert«. Die Musik folge quasi dem Gang der Dinge und entwickle dabei eine Eigendynamik.
Die Musik der Romantiker ruft nicht zum Handeln auf, sie lädt zum Träumen ein. Sie wirkt nicht mehr nach außen, sondern nach innen. Statt Weltanschauung komponierten Weber und Schubert Innenansichten; es sind Reisen in die Tiefe der Seele. Zwischen Stillstand und Ausdehnung ergeben sich die »himmlischen Längen«, die Robert Schumann in der C-Dur-Symphonie als neuartig und unerhört bestaunt hat. Weber wiederum streckt seine Fühler in jegliche Richtung aus, findet in den vielfältigen Sujets, aus denen er romantische Opern oder humoristische Singspiele formt, immer wieder zur Reflexion des menschlichen Wesens, und alles – sei es Bühnenwerk oder Klaviersonate – wird ihm zur Szene.
Im selben Maße, wie sich die Romantiker auf ihre ganz unterschiedliche Weise dem Träumen hingaben und die Seele durchlässig machten, musste sich der Kontrast zur Realität verstärken, in der Bürokratie, Bespitzelung und Industrialisierung den Menschen seiner Fantasie entfremdeten: das ist die »Spaltung«, von der Einstein spricht. Die Erkenntnis, dass Innen und Außen immer unvereinbarer werden, kann in solch katastrophischem Einbruch münden, wie er sich im zweiten Satz von Schuberts Symphonie ereignet.
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