Mit Sofia Gubaidulina ist am 13. März eine Grande Dame der zeitgenössischen Musik verstorben. Die Berliner Philharmoniker trauern um eine langjährige künstlerische Weggefährtin und beeindruckende musikalische Persönlichkeit.
Eva-Maria Tomasi, Mitglied des Orchestervorstands der Berliner Philharmoniker: »Als unser Orchester 1990 Sofia Gubaidulinas Musik kennenlernte, eröffnete sich uns eine neue Welt. Die Prägungen durch ihre eindrucksvolle Biografie, ihre starke Bindung an die Religion und ihre nie nachlassende Neugier auf ungekannte Klänge verbanden sich zu einer faszinierend individuellen, authentischen Tonsprache. So haben wir Sofia Gubaidulina als eine große Unabhängige der Musik unserer Zeit erlebt.«
Die Karriere der aus Tschistopol in Tartastan stammenden Komponistin war lange Jahre geprägt von der Stalin-Ära, dem kalten Krieg und der rigiden Kulturpolitik des Sowjetregimes. Ihre eigensinnigen Werke fanden in der Sowjetunion wenig Beachtung, weshalb Sofia Gubaidulina ihren Lebensunterhalt mit Filmmusik verdiente. 1981 gelang der damals 50-Jährigen mit dem Violinkonzert Offertorium – eine Auseinandersetzung mit Bachs Musikalischem Opfer, die sie für den Geiger Gidon Kremer komponiert hatte – der internationale Durchbruch.
1990 begann Sofia Gubaidulinas Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmoniker mit der Uraufführung ihres Chorwerks Alleluja. Am Pult stand Sir Simon Rattle, ein großer Bewunderer der Komponistin. Nach seinem Amtsantritt als Chefdirigent wurden ihre Werke fester Bestandteil des philharmonischen Repertoires. 2006 interpretierte Gidon Kremer erstmals mit den Berliner Philharmonikern Offertorium. Ein Jahr später folgte beim Lucerne Festival die Uraufführung des Zweiten Violinkonzerts In tempus praesens, das Sofia Gubaidulina für die Geigerin Anne-Sophie Mutter geschrieben hatte.
Es sei ein Stück, so die Komponistin, »über Zeit und Gegenwart« sowie über Sophia, die Göttin der Weisheit. Die spirituelle Verbundenheit mit dem göttlichen Kosmos prägt nicht nur dieses Werk, sondern Gubaidulinas gesamtes Schaffen. Auch ihr Konzert für Schlagzeugensemble Glorious Percussion, das die Berliner Philharmoniker 2009 unter Leitung von Gustavo Dudamel interpretierten, spiegelt nach den Worten der Komponistin in seinen Intervallen und Akkorden die rhythmischen Wellenbewegungen wider, die in der ganzen Welt und der Natur präsent sind. Neben den Orchesterkonzerten haben ebenso die Kammermusikensembles der Berliner Philharmoniker regelmäßig Werke Sofia Gubaidulinas aufgeführt.
Bis zuletzt war Sofia Gubaidulina in den Programmen der Berliner Philharmoniker präsent, so 2023 mit dem Dritten Violinkonzert Dialog: Ich und Du mit Andris Nelsons und Baiba Skride. Im Januar dieses Jahres schließlich dirigierte Kirill Petrenko Der Zorn Gottes, das einmal mehr zeigte, wie Sofia Gubaidulina aus ihrem tiefen Glauben eine einzigartig kraftvolle Musik zu schöpfen vermochte.