Trotz seines verhältnismäßig schmalen Œuvres war Paul Dukas eine prägende Figur der französischen Musikszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Befreundet mit fast allen wichtigen Komponisten seiner Zeit, bewahrte er sich auch in seiner Tätigkeit als Musikpublizist eine gesunde Distanz zu den teils erbittert geführten Kontroversen um die Werke von Richard Wagner. Seine eigene Musik wurzelte tief in der französischen Romantik, doch als Lehrer von Olivier Messiaen reicht sein Einfluss bis weit in die Moderne.
Paul Dukas war eine zentrale Gestalt des französischen Musiklebens, obwohl sein Werkverzeichnis keine 20 Titel umfasst. Davon wird nur die Symphonische Dichtung L’Apprenti sorcier regelmäßig gespielt, was Dukas salopp gesagt zu einem »One-Hit-Wonder« macht.
Die 1907 uraufgeführte Oper Ariane et Barbe-bleue, die wie Debussys Pelléas et Mélisande auf einer Vorlage von Maurice Maeterlinck basiert, gilt Kennern allerdings als eines der wichtigsten französischen Bühnenwerke des frühen 20. Jahrhunderts. Zu diesen Kennern gehörten unter seinen Zeitgenossen auch Zemlinsky, Schönberg und dessen Schüler Alban Berg und Anton Webern, die Dukas anlässlich der Wiener Erstaufführung des Werks ein bewunderndes Glückwunschtelegramm schickten.
Neben der Symphonischen Dichtung, der Oper und drei frühen Konzertouvertüren hat Dukas jeweils eine Symphonie, ein Ballett sowie eine Sonate und einen Variationenzyklus für Klavier geschrieben; man könnte meinen, der Komponist habe in allen wichtigen Gattungen jeweils ein einziges, exemplarisches Werk vorlegen wollen, und damit sei es ihm genug gewesen. Auffällig ist das für französische Komponisten seiner Zeit ungewöhnliche Fehlen von Kammermusik – die Villanelle für Horn und kleines Ensemble ist in Wahrheit ein Konzertstück.
Sicherlich hat die intensive und zeitraubende Tätigkeit als Musikkritiker Dukas zwischen 1892 und 1905 vom Schreiben eigener Musik abgehalten; der öffentlich wirkende Komponist überdauerte den Rezensenten allerdings nur um wenige Jahre. Nach dem 1912 uraufgeführten Ballett La Péri hat Dukas bis zu seinem Tod am 17. Mai 1935 keine Musik mehr publiziert und den größten Teil seiner in diesem Zeitraum geschriebenen Werke offenbar vernichtet.
Ein vollständigeres Bild von Dukas’ zentraler Stellung ergibt sich daher erst, wenn man auch seine musikpublizistische Tätigkeit und seine Beziehungen zu den wichtigen Komponisten seiner Zeit einbezieht. So verbanden ihn mit Camille Saint-Saëns, Vincent D’Indy, Gabriel Fauré und Claude Debussy zum Teil enge Freundschaften. Obwohl diese Musiker zum Teil wenig bis nichts voneinander hielten, bezeugten sie doch alle Dukas ihren Respekt. Gerade der sonst gerne bissige Debussy hat sich ausschließlich und ausnehmend positiv über ihn geäußert.
Als Student von Georges Bizets Vertrautem Ernest Guiraud und Lehrer von Olivier Messiaen vermittelte Dukas, wie sich aus heutiger Perspektive zeigt, zwischen französischer Romantik und Moderne – eine Position, die stilistisch auch seine eigenen Werke charakterisiert. Und obwohl er seinem Freund Debussy nicht in das Reich der freien, gänzlich selbstbestimmten Formen folgen wollte, erkannte er doch früh dessen Genie.
Zentral war Dukas in seiner musikpublizistischen Tätigkeit auch in dem Sinne, als er in den zum Teil heftig ausgetragenen Kontroversen seiner Zeit die Mitte hielt. Wenn Theo Hirsbrunner im ersten Kapitel seines Buchs über die französische Musik des 20. Jahrhunderts die Komponisten der frühen Moderne in »Wagnerianer und Anti-Wagnerianer« einteilt, so ist Dukas nur in seiner frühen Schaffensperiode der ersten Gruppe zuzuordnen. Später war ihm die uneingeschränkte Wagner-Verehrung D’Indys ebenso fremd wie die Gegenposition Debussys.
Als Musikkritiker bemühte sich Dukas um Objektivität und Gerechtigkeit. Das betraf auch den »Fall Wagner«, der sich für die französische Musik Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Schicksalsfrage entwickelte. Der französische Wagnérisme hatte sich zunächst als literarische Bewegung formiert, die in den prägenden Jugendjahren von Komponisten wie Debussy und Dukas aber längst auf die Musik übergegriffen hatte.
Zugleich stand der Einfluss Wagners der Bemühung um musikalische Eigenständigkeit entgegen, die französische Komponisten in dieser Zeit umtrieb. Die Niederlage im deutsch-französischen Krieg hatte 1871 auch das kulturelle Selbstverständnis der Nation tief getroffen. In diesem Kontext reichte die Haltung gegenüber Wagner von der Absicht, ihn auf dem Gebiet die Oper durch die Vertonung eigener mythologischer Stoffe zu überbieten, über die demonstrative Pflege der nicht von Wagner geprägten Gattungen bis zur Musik der Groupe des Six um Darius Milhaud, die klingen sollte, als habe es Wagner nie gegeben.
Als musikhistorisch versierter Publizist identifizierte sich Dukas mit keiner dieser Optionen. Einerseits hielt er es für unmöglich, die unbestreitbaren Errungenschaften und Innovationen Wagners zu ignorieren; andererseits lehnte er die geschichtsphilosophischen Implikationen der neudeutschen Schule ab.
Wagner und seine Anhänger behaupteten ja, die Geschichte der absoluten Musik sei mit Beethovens Neunter Symphonie zu Ende gegangen und müsse durch das Musikdrama und die instrumentale Programmmusik ersetzt werden. Dass Dukas diesem Befund nicht zustimmte, zeigt sich auch in seinem kompositorischen Schaffen: Es umfasst sowohl absolute als auch programmatische Werke, und zwar nicht in der von Wagner postulierten Rangfolge, denn seine Klaviersonate schrieb Dukas erst nach der Symphonischen Dichtung L’Apprenti Sorcier.
Gerechtigkeit ist eine Tugend, aber nicht unbedingt und in jedem Fall eine künstlerische Produktivkraft. Gerade das Beispiel von Debussy zeigt, dass auch die in Teilen ungerechte oder überzogene Kritik an der monumentalen Gestalt Wagners für die eigene Positionsbestimmung fruchtbar sein konnte. Das gelang Paul Dukas nicht, und ohnehin wurde er in seinen späten Jahren Zeuge, wie sich die musikalischen Schulen auflösten.
Und in Abwandlung der polemischen, auf Brahms gemünzten Nietzsche-Formel von der »Melancholie des Unvermögens« spricht Schubert im Hinblick auf Paul Dukas von der »Melancholie des Vermögens«: Sie charakterisiert einen Komponisten, der im heterogenen Konzert der Moderne trotz handwerklichen Könnens und reicher musikhistorischer Kenntnisse den Einsatz für die eigene Stimme vielleicht nicht mehr finden konnte.
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