In seinem Heldenleben porträtierte Richard Strauss laut eigener Aussage niemand anderes als sich selbst. Was an ihm so heldenhaft war, verriet der Komponist allerdings nicht. Wie heroisch war Strauss also im wirklichen Leben? Mit einem Helden im klassischen Sinn hatte er jedenfalls nichts gemeinsam. Strauss’ Courage offenbarte sich jedoch auf andere Weise: in seinem Streben nach künstlerischer Selbstverwirklichung.
»Was mein Heldenleben betrifft, so habe ich selbstverständlich keine Schlachten mitgemacht, aber Friedenswerke konnte ich nur durch eigene Themen ausdrücken.« So schrieb im hohen Alter Richard Strauss an seinen von ihm selbst auserkorenen Biografien Willi Schuh. Strauss hatte das »Suchen der Herren Musikgelehrten nach ›persönlich Erlebtem‹ und ›Bekenntnishaftem‹« in seinen Werken verärgert: Zu viel dummes Zeug wurde ihm da geschrieben, und gerade die von ihm musikalisch aufgeworfene Frage nach seiner Heldenhaftigkeit hatte viele Spekulationen losgetreten. Wie sah es nun damit aus?
Zwar war Strauss der Kriegsdienst erspart geblieben und er hatte nie als Soldat gegen feindliche Streitkräfte kämpfen müssen – Gefechte anderer Art gab es für ihn trotzdem reichlich. Ein Künstler, der so im Lichte der Öffentlichkeit stand wie er, musste sich den musikästhetischen Debatten der Zeit stellen, und Ende des 19. Jahrhunderts focht man dabei fast bis aufs Blut. In seinen visionären Werken lenkte Strauss die Orchestermusik, später auch das Musiktheater in neue Bahnen; außerdem wandte er sich in seiner parallelen Laufbahn als Dirigent gegen Schlendrian und verkrustete Strukturen. Und noch eine dritte Arena würde er betreten.
Es war Hans von Bülow, Leiter der Meininger Hofkapelle und später der erste Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, der 1884 Richard Strauss ins kalte Wasser der Orchesterleitung stieß. Bülow ermöglichte dem 18-Jährigen ein Debüt ohne jede Probe mit seiner eigenen Bläsersuite, was Strauss gut genug gelang, dass der Mentor ihn als Assistenten und Nachfolger nach Meiningen engagierte. Über Jahre erlebte Strauss nun die Herausforderungen der Kapellmeisterexistenz, musste sich mit unbegabten Sängern, intriganten Kollegen und bornierten Vorgesetzten herumschlagen.
Seine erste Anstellung an der Münchner Hofoper (1886–88) warf er hin, als man ihm nach seiner mühevollen Einstudierung von Wagners Jugendoper Die Feen die prestigeträchtige Erstaufführung entzog und sie seinem Kollegen Franz Fischer übertrug, einem »der talentlostesten Musikanten, die mir begegnet [sind]«. Als großherzoglicher Kapellmeister in Weimar (1889–92) kämpfte er gegen den Widerstand der Sänger für ungekürzte Aufführungen von Wagners Opern und legte sich mit »absolut unfähigen« Regisseuren an.
Die zweite Münchner Phase (1894–98) brachte unter anderem die ersten zyklischen Aufführungen von Mozarts Da-Ponte-Opern; insbesondere die vielgeschmähte Così fan tutte fand in ihm einen Verfechter. Hier konnte Strauss in nunmehr leitender Position auch programmatisch Akzente setzen – und sich für sein darauffolgendes langjähriges Engagement als königlich-preußischer Hofkapellmeister in Berlin empfehlen.
Der junge Strauss komponierte noch recht klassizistisch, schließlich hatte ihm sein Vater – Solohornist der Münchner Hofoper und passionierter Wagner-Gegner – Mozart und Beethoven und unter den Zeitgenossen Brahms als Ideale eingeimpft. So wusste der Heranwachsende noch nicht recht wohin mit den vielen Stimmen, die ihm im Kopfe herumschwirrten, und neigte dazu, seine Orchesterwerke zu überladen.
In Meiningen erlebte er die Uraufführung von Brahms’ Vierter Symphonie; der ältere Komponist gab dem begabten Kollegen bei Spaziergängen den Rat: »Junger Mann, sehen Sie sich genau die Schubert’schen Tänze an und versuchen Sie sich in der Erfindung einfacher achttaktiger Melodien«. Im selben Jahr weckte ein Freund Bülows »zum Kummer meines Vaters« Strauss’ Begeisterung für Richard Wagner. Dieser hatte die klassische Symphonie für tot erklärt, als Alternative schuf Franz Liszt seine poetisch inspirierten Symphonischen Dichtungen.
Mit seiner ersten eigenen Tondichtung Aus Italien (1886) fand Strauss einen Mittelweg zwischen »absoluter« und programmatischer Musik. Die Handlungen seiner Werke beschränkte er auf ganz wenige Andeutungen und lieferte zugleich polyfone, reiche Orchestergefüge, wie er sie von Brahms kannte. Untergründig baute er auf großen traditionellen Formen auf, etwa dem Rondo in Till Eulenspiegel und abgewandelten Sonatenformen in Don Juan oder Tod und Verklärung.
Außerdem ging er in der Wahl seiner Sujets über die üblichen historischen und mythischen Stoffe hinaus – in seinem Kampf gegen Heuchelei und Doppelmoral brachte er die Wirklichkeit des menschlichen Lebens in Stellung, vertonte Lieben und Sterben, Heroisches wie Alltägliches. Die unmissverständliche Erotik etwa in der Salome ließ die Emotionen hochkochen, wie Max Regers Verteidigung des Kollegen zeigt: »Ich bin nicht der Meinung, dass das sittliche oder religiöse Empfinden auf irgendeine Art durch die Salome verletzt wird. Und wer schließlich durch die Salome seine Religion verliert, hat schon vorher keine gehabt.«
Im Jahr des Heldenlebens machte Strauss eine neue Front auf und verweigerte seinem Verlegerfreund Spitzweg das neue Werk: »Heldenleben ist fertig u. wird vorläufig gar nicht im Druck erscheinen, da ich mit 3 Verlegern, die wirklich anständiges Honorar geboten haben, mich nicht geeinigt habe, da ich mir von jetzt ab das Aufführungsrecht selbst vorbehalten will, um als Anstifter der ganzen Componistenbewegung auch hierin mit gutem Beispiel voranzugehen.« Es ging um die sogenannten Aufführungsrechte. Bislang konnten Komponisten mit ihren Werken genau einmal Geld verdienen: indem sie sie an einen Verlag verkauften.
War das Stück erfolgreich, wurde der Verlag reich, dem Komponisten blieb nichts als der Ruhm. Strauss setzte sich an die Spitze einer Bewegung, die für mehr Rechte der Schöpfer kämpfte, und sorgte ab 1898 mit Mitstreitern dafür, dass jede Aufführung eines urheberrechtlich geschützten Werkes gesondert vergütet werde. Den Verlagen war das nicht geheuer: Sie sorgten sich um einbrechende Aufführungszahlen und damit verminderten Absatz ihrer Druckausgaben. Erst nach drei Jahrzehnten wurde Strauss’ Diktum allgemeingültig: »Verlagsrechte dem Verleger, Urheberrechte dem Urheber. Anderen Modus gibt’s künftig nicht.« Die GEMA, die dieses Prinzip heute umsetzt, ist in nicht geringem Maße sein Verdienst.
Vom späten Strauss hätte man sich noch eine weitere Heldentat gewünscht: ein Eintreten gegen das nationalsozialistische Regime. Da hätte Strauss, inzwischen eine internationale Berühmtheit, durchaus Möglichkeiten gehabt. Aber er hielt es wie die meisten, wollte nur im Hintergrund Einfluss ausüben, das Schlimmste verhüten, auch die eigene Haut retten – während die Katastrophe ihren Lauf nahm. Doch das lag zur Zeit des Heldenlebens noch in weiter Ferne.
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