Am 28. Oktober 1942 wurde in München mit Capriccio die letzte Oper des 78-jährigen Richard Strauss uraufgeführt. Ein Jahr danach lag das Münchner Nationaltheater in Trümmern, das Haus, in dessen Orchester der Vater, Franz Strauss, mehr als vier Jahrzehnte als Hornist gewirkt und in dem der Sohn früh die Welt der Oper kennengelernt hatte.
Einige karge, mühsam niedergeschriebene Zeilen, die Strauss kurz nach diesem Ereignis an seine Schwester sandte, deuten ein Entsetzen an, als habe niemand ahnen können, wohin der deutsche Vernichtungs- und Eroberungskrieg gegen die halbe Welt am Ende führen musste: »Garmisch, unmittelbar nach der Zerstörung des Hoftheaters. Liebe Hanna, besten Dank für Deinen lieben Brief. Mehr kann ich heute nicht schreiben. Ich bin außer mir. Herzlichen Gruß, Richard.«
Die schockierende Nachricht drängte Strauss zu den bittersten Schlussfolgerungen: »Mit Capriccio ist mein Lebenswerk beendet und die Noten, die ich als Handgelenksübung [...] jetzt noch für den Nachlass zusammenschmiere, haben keinerlei musikgeschichtliche Bedeutung.«
Doch sollte er sich selbst widerlegen, als er eine Trauermusik voller Bedeutung, Symbolik und philosophischem Tiefsinn schuf, atmosphärisch dunkel und klagend: die Metamorphosen für 23 Solostreicher. Eine Musik – wie der altgriechische Titel besagt – der unaufhörlichen Verwandlungen und Umgestaltungen. Melodie, Harmonie und Rhythmus verändern und transformieren sich in vielschichtigen, sich überlagernden Stimmverläufen, erzeugen ein unaufhörliches musikalisches Fließen.
Es ist ein klangliches Spiel mit feinen Zwischentönen – und ein Abgesang des Komponisten auf die deutsche Kultur: Am Ende zitiert er den Trauermarsch aus Beethovens »Eroica«. Darunter notierte Strauss auf der letzten Seite der handschriftlichen Partitur: »In memoriam!«
Während der im September 1944 begonnenen Arbeit an den Metamorphosen bis zu ihrer Vollendung im April 1945 musste er eine katastrophale Meldung nach der anderen verkraften: Die Lindenoper in Berlin, seine Wirkungsstätte als Preußischer Hofkapellmeister und Generalmusikdirektor, die Semperoper in Dresden, Uraufführungsort der meisten seiner musikdramatischen Werke, und schließlich die Wiener Oper – sie verbrannten und versanken im Vernichtungssog des Krieges.
Den äußeren Anstoß zur Komposition der Metamorphosen, einer »Studie für 23 Solostreicher«, hatte Strauss im August 1944 durch den Schweizer Dirigenten Paul Sacher empfangen, der ein etwa halbstündiges Streicherstück für das Collegium Musicum Zürich in Auftrag gab. Ein Skizzenblatt zu den Metamorphosen, auf dem sich die Überschrift »Trauer um München« findet, erlaubt allerdings die Spekulation, dass Strauss möglicherweise auch auf ältere, nach der Bombardierung der Münchner Oper niedergeschriebene Entwürfe zurückgegriffen hat. Das »Eroica«-Zitat am Ende des Werks stand – so eine Aussage des Komponisten – nicht von Anfang fest, sondern ergab sich erst mit und aus dem Komponieren.
Richard Strauss – Ein Held?
In seinem »Heldenleben« porträtierte Richard Strauss laut eigener Aussage niemand anderes als sich selbst. Was an ihm so heldenhaft war, verriet der Komponist allerdings nicht.
Richard Strauss und die Berliner Philharmoniker
Beim ersten Besuch hinterließ das Orchester bei Richard Strauss keinen guten Eindruck – das sollte sich komplett ändern.
Kirill Petrenko dirigiert Strauss’ »Metamorphosen«
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