Autor*in: Marvin Josef Deitz
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Salome tanzend vor dem Kopf des Jochanaan. | Bild: Gustave Moreau (Künstler), The Metropolitan Museum of Art

Richard Strauss’ Oper Salome haftet (bis heute) der Ruf des Skandals an. Kein Wunder, immerhin wurde sie zeitweise zensiert und die Sopranistin der Uraufführung verweigerte zunächst ihre Teilnahme. Lesen Sie hier, was die Gemüter seiner Zeit so in Aufruhr versetzte und wie das Werk dennoch zum umjubelten Erfolg wurde.

Berlin, am 15. November 1902. In Max Reinhardts Kleinem Theater beginnt in wenigen Augenblicken die noch nicht öffentliche Uraufführung von Oscar Wildes Salome. Im Publikum sitzt Richard Strauss. Schon seit einiger Zeit ist er an dem skandalträchtigen Stoff der Salome interessiert, er kennt den Text und hat wohl schon die ersten Ideen, ihn in eine Oper umzusetzen. Es geht um Inzest, sexuelle Belästigung, Blasphemie, Gewalt, Mord, Nekrophilie. Seiner Salome wird der Ruf des Skandals vorauseilen und bis heute anhaften. Und dennoch – oder deswegen? – wird die Oper ein riesiger Triumph, der Richard Strauss zum internationalen Durchbruch verhelfen wird, zu Wohlstand und Reichtum.

Im Kleinen Theater hebt sich derweil der Vorhang. Strauss blickt auf die große Terrasse im Palast des Herodes, der ein Fest mit Ehefrau Herodias und Stieftochter Salome feiert, mit Ägyptern, Juden und Nazarenern. Als Salome nach draußen tritt – sie kann die Gäste nicht ausstehen, ebenso wenig die lüsternen Blicke ihres Stiefvaters – hört sie die Stimme eines Gefangenen aus der Zisterne. Es ist Jochanaan, Johannes der Täufer, der von Narraboth bewacht wird. Salome weiß um die Furcht ihres Stiefvaters vor diesem Propheten, der ihre Mutter der Sünde bezichtigt hat. Fasziniert von seiner Erscheinung und seiner »Schrecklichkeit« möchte Salome »ihn näher besehn«: »Sein Fleisch muss sehr kühl sein, kühl wie Elfenbein«. Da der Wächter Narraboth der schönen Salome zu Füßen liegt, ist es ihr ein Leichtes ihn zu überreden, das Gefängnis zu öffnen. 

Der Tanz der sieben Schleier

Als Jochanaan auf die Terrasse tritt, reicht ihr der Anblick allein nicht mehr aus: Sie möchte ihn berühren. Jochanaan wehrt ab und verflucht sie. Auf der Suche nach Salome erscheinen nun Herodes und Herodias auf der Terrasse. Doch Herodes führt mehr im Schilde. Im Beisein seiner Frau starrt er Salome an, fordert sie auf, ihre »kleinen roten Lippen« in den Wein zu tauchen und reife Früchte mit ihr zu teilen. Wie im Rausch bittet er sie, für ihn zu tanzen: »Wenn du für mich tanzest, kannst du von mir begehren, was du willst.« Ein verhängnisvolles Versprechen. 

Salome tanzt den »Tanz der sieben Schleier«, in dem sie nach und nach die Hüllen fallen lässt. Dann fordert sie: »Auf einem Silbertablett den Kopf des Jochanaan.« Herodes ist entrüstet. Das ist selbst ihm nicht geheuer. Aber Salome erinnert ihn an seinen Schwur und bekommt, was sie verlangt. Sie ergreift den Schädel des Toten: »Du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen, Jochanaan! Wohl, ich werde ihn jetzt küssen«. Vollkommen entgeistert kehrt Herodes in den Palast zurück und befiehlt, das »Ungeheuer« Salome zu töten. Der Vorhang fällt schnell.

Als Strauss das Theater nach der Aufführung verlassen will, begegnet er einem alten Bekannten: »Strauss, das wäre doch ein Opernlibretto für Sie.« Der entgegnet: »Bin bereits am Komponieren.« Noch bis Ende des Jahres entstehen erste Skizzen. Strauss ist Ende 30, glücklich verheiratet und gilt bis hierher eher als »braver« Komponist. Warum wählt er nun einen solch provokanten Opernstoff? 

Zu Lebzeiten wird diese Entscheidung tiefenpsychologisch gelesen – Siegmund Freuds Traumdeutung liegt gerade voll im Trend. So urteilt der zeitgenössische Musikpublizist Richard Specht, Strauss habe »hier alle Gifte seines Innern ausgeschieden, alles Höllische, Finstere, Abgründige seines Wesens, all die ererbte Angst der Kreatur und alle schwärenden Begierden in Fieber glühenden Stunden endgültig von sich abgelöst […]. Erst nach diesem reinigenden Fieberprozess konnten Rosenkavalier und Ariadne den beiden Nachtstücken der Seele [Salome und Elektra] folgen.« Strauss selbst hatte gegen dieses Bild der Selbstbefreiung zumindest nichts einzuwenden.

Zensur und Aufruhr

Schon Ende 1905 steht die Oper bereit zur Uraufführung an der Hofoper in Wien. Doch es gibt Probleme: Gustav Mahler ist zwar begeistert und spricht von einem »ganz genialen, sehr starken Werk, das entschieden zu dem Bedeutendsten gehört, was unsere Zeit hervorgebracht hat«, darf es aber in Wien nicht aufführen. Die Zensurbehörde sträubt sich. Da in Berlin schon das Theaterstück ähnliche Probleme hatte, geht die Uraufführung an die Hofoper nach Dresden. Hier jedoch weigert sich Marie Wittich zunächst, die Rolle der Salome einzustudieren. »Das thue ich nicht, ich bin eine anständige Frau«.

Doch nicht nur der Inhalt hat es in sich, auch die Musik. Von der Bitonalität, gleichzeitige Verwendung von zwei Tonarten, und den ungewohnten dissonanten Einschlägen ganz abgesehen: »Was diese physisch und geistig zu leisten haben, überbietet alles, was bisher an Technik und Intelligenz den Instrumentalisten zugemutet worden ist«, urteilen die Dresdner Nachrichten. Bei einer Probe muss Strauss das Orchester besänftigen: »Aber meine Herren! Nur Courage! Man darf sich die Sache nicht schwerer machen, als sie ist. Nur keine sonderlichen Probleme und Komplikationen darin suchen! Meine Oper ist ja im Grund nichts anderes als ein Lustspiel mit tödlichem Ausgang!«

Bejubelte Uraufführung

Trotz aller Querelen wird die Uraufführung ein beispielloser Erfolg: »Am Schlusse der Vorstellung brach das Publikum in enthusiastische Beifallsbezeugungen aus, die wohl eine Viertelstunde lang anhielten und die Solisten, Strauß und v. Schuch dutzend Male vor die Rampe riefen,« berichten die Dresdner Nachrichten. Auch die meisten Kritiken stimmen in den Jubel ein: 

»Eine Sensation von ähnlicher Bedeutung hat unsere Hofoper seit Wagners letzten Werken nicht gehabt. Wer in Sachen der modernsten Musik und höchster künstlerischer Leistungsfähigkeit mitreden will, wird sie sehen und hören müssen.« 

Der Skandal bleibt aus. Einen leisen Aufschrei gibt es in der Presse, doch ist dieser eher musikalischer Natur. Skeptisch soll sich auch Kaiser Wilhelm II geäußert haben: »Tut mir leid, ich habe ihn sonst ganz gern, aber damit wird er sich schaden«. Strauss kommentierte das schlicht mit: »Von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!« Der Erfolg gibt ihm recht. 

Trendthema Femme fatale

Doch warum wird aus dem vorgesagten Skandal dieser Triumph? Weil das Theaterstück längst etabliert ist? Oder ist es die Sensationslust des Publikums? Kritische Stimmen warfen dem »Provokateur« Strauss eine gewisse Effekthascherei vor. Nicht zu verleugnen ist jedenfalls, dass Strauss mit seiner Oper einen Trend bedient, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht: das Bild der Femme fatale. 

Eine Gruppe von Männern meint den ureigenen Charakter und die wahren Handlungsmuster eines bestimmten Frauentypus offengelegt zu haben. Sigmund Freuds Tiefenpsychologie tut ihr Übriges. Die sogenannte Femme fatale ist anziehend, triebgesteuert, heimtückisch, gnadenlos und verführerisch. Ihr einziges Ansinnen: den wehrlosen Mann mithilfe ihrer Reize gefügig machen und zu Grunde richten. Salome erfüllt diese Eigenschaften mustergültig. 

Skandal ohne Skandal

Der zeitgenössische Autor Joris-Karl Huysmans beschrieb Salome in den Gemälden Gustave Moreaus als »sinnbildliche Gottheit unzerstörbarer Wollust, die Göttin der unsterblichen Hysterie; jenes einfache Sinnentier, ungeheuer, gefühllos, unempfindlich, die alles, was sich ihr nähert, sie berührt und sie sieht, vergiftet.« Unzähmbare Wollust mündet in gnadenloser Grausamkeit – ein Bild der Frau, das männliche Wunsch- und Angstvorstellungen zugleich aufzeigt. 

Dass Strauss selbst die Oper im Eifer sexueller Gelüste, Triebe und Träume geschrieben zu haben scheint? Damals kein Makel. Ebenso wenig die anderen skandalträchtigen Inhalte, die aus heutiger Sicht kaum unkommentiert bleiben können. Da wäre vor allem die vereinheitlichte und stereotype Darstellung der Vielvölkerregion »Orient« und die Bedienung antisemitischer Klischees, besonders im sogenannten »Judenquartett«.

Salome hält also reichlich skandalösen Zündstoff bereit, an dem sich Strauss jedoch – und das bis heute – nicht die Finger verbrannt hat.

Kirill Petrenko


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