Von: Frederik Hanssen
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Luftaufnahme von Bari, Italien. In der Mitte ist das markante rote Petruzzelli-Theater zu sehen, umgeben von Stadtgebäuden, und im Hintergrund die Adria mit Wellenbrechern.

Wenn die Berliner Philharmoniker zum Europakonzert laden, richtet sich der Blick stets auf einen Ort mit besonderer kultureller Bedeutung. In diesem Jahr fällt die Wahl auf Bari – die Hafenstadt am Adriatischen Meer, deren traditionsreiches Opernhaus, das Teatro Petruzzelli, nicht nur durch seine prachtvolle Architektur, sondern auch durch seine bewegte Geschichte beeindruckt. Ein guter Anlass, sich die Stadt und ihre berühmteste Bühne einmal genauer anzusehen.

Mamma mia, was für ein herrlicher Ausblick! Die Uferpromenade von Bari ist nicht nur eine der längsten Italiens, sondern auch eine der schönsten: Sie beginnt an der Nordspitze der Altstadt, wo man von den mächtigen mittelalterlichen Wehrmauern das mare adriatico überblickt. Drei Kilometer lang kann man dann südwärts laufen, vorbei am alten Hafen, bis »Pane e Pomodoro« in Sicht kommt, der legendäre Stadtstrand der kleinen Leute, die sich hierher zum Sonnenbaden traditionell Brot und Tomaten als Verpflegung mitbrachten.

Ungefähr auf halber Wegstrecke liegt das Teatro Petruzzelli - doch Baris Opernhaus dreht dem Wasser demonstrativ den Rücken zu. Die reich verzierte Fassade blickt gen Westen, öffnet sich zum Corso Cavour, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Diese urbanistische Ausrichtung wurde einst ganz bewusst gewählt, denn die Musiktheaterbühne sollte zum Zentrum eines neuen, wohlhabenden Viertels werden: Mit dem Quartiere Umbertino wollte Bari an der Wende zum 20. Jahrhundert beweisen, dass auch Apuliens Hauptstadt vom ökonomischen Boom des geeinten Italiens profitiert.  

Der Hochkultur-Tempel wird zum Wirtschafts-Motor

Ein früher »Bilbao-Effekt« gewissermaßen: Der Hochkultur-Tempel wird zum Wirtschafts-Motor, zieht wohlhabendes Publikum an, schafft Arbeitsplätze, entwickelt künstlerische Strahlkraft – und hebt damit das Ansehen der gesamten Città im In- und Ausland. 

Die Kalkulation der Stadtväter ging auf: Rund um das Teatro Petruzzelli flaniert man bis heute durch noble Straßen, vorbei am Palazzo Marroccoli, einst Sitz des »Hotel Oriente«, am Palazzo Atti oder auch am Palazzo Stoppelli. Die fünfstöckigen Gebäude tragen nicht nur klingende Namen, sondern sind auch bis unters Dach überreich dekoriert mit Säulen und Balustraden, steinernen Blumengirlanden, Löwenköpfen und putzigen Putten, in jenem architekturhistorischen Fantasie-Mix, den die Italiener »Stile Liberty« nennen. 

Südlich des historischen Zentrums mit seinen schmalen Gassen und der bedeutenden romanischen Basilica di San Nicola war bereits 1854 ein erstes Stadttheater eröffnet worden, doch das 1000-Plätze-Haus erwies sich bald als zu klein für die schnell wachsenden Gemeinde. Die musikbegeisterten Bürger forderten derart vehement ein größeres teatro, dass sich die Stadtväter entschlossen, einen Bauplatz am neuen Corso Cavour kostenlos zur Verfügung zu stellen. 

Errichtet und betrieben werden sollte die Bühne, wie in Italien üblich, aber nicht vom Staat, sondern von einem Unternehmer, auf eigenes finanzielles Risiko. Mit dem Versprechen, die dreifache Platzkapazität des alten Stadttheaters zu bieten, machten Onofrio and Antonio Petruzzelli 1895 das Rennen, zwei Brüder aus Triest, die in Bari als Schiffsbauer und Reeder reich geworden waren. Zum Architekten bestimmten sie ihren Schwager Angelo Cicciomessere, einen fortschrittlich denkenden Mann, der Ingenieurwesen studiert hatte und deshalb besonderen Wert darauf legte, das Haus mit dem neusten technischen Komfort auszustatten. Nämlich mit einer Zentralheizung und elektrischem Licht. 

Das viertgrößte Operhaus in Italien

Nach vier Jahren Bauzeit konnte das Teatro Petruzzelli am 14. Februar 1903 eröffnet werden. Man spielte Les Huguenots von Giacomo Meyerbeer, im Parkett und in den vier Logen-Rängen applaudierten 3200 Zuschauerinnen und Zuschauern. Auch wenn mittlerweile aufgrund strengerer Sicherheitsbestimmungen nur noch 1482 Plätze pro Abend angeboten werden dürfen, ist Baris Opernhaus weiterhin das viertgrößte in Italien. 

In markantem Rostrot präsentiert sich die fast 20 Meter breite Fassade, über den Rundbogenfenstern des 1. Stocks sind Büsten der Komponisten Verdi, Rossini und Bellini platziert. An der höchsten Stelle thront eine Figurengruppe, die Apollo zeigt, der einen Lorbeerkranz über dem Kopf einer Allegorie der Musik hält. 

Überwältigend üppig präsentiert sich das Innere des Hauses: Im Atrium würdigen lebensgroße Statuen Musiker aus Apulien wie Giovanni Paisiello, Saverio Mercadante und Niccolò Piccinni, eine breite Treppe führt zum Zuschauerraum, wo es auf den cremefarbenen Wänden keinen Quadratzentimeter gibt, der nicht mit prächtigstem, goldbronzenem Zierrat bedeckt wäre. Über dem Saal wölbt sich eine Kuppel von beachtlichen 23 Metern Durchmesser – und natürlich gibt es, wie in jedem italienischen Opernhaus, direkt über der Bühne eine große Uhr. 

Die großen Stars der italienischen Oper des 20. Jahrhunderts sind in Bari aufgetreten, aber im Teatro Petruzzelli wurde stets auch Ballett geboten, Symphonisches – und Unterhaltung: Frank Sinatra und Ray Charles waren zu Gast, Liza Minnelli, Juliette Greco und Freddy Mercury. Dann aber bricht in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 1991 ein Feuer aus, das Gebäude wird vollkommen zerstört. Es sollten 18 Jahre vergehen bis zur Wiederöffnung – eine Zeitspanne, die sich allerdings relativiert, wenn man bedenkt, dass im Teatro Massimo von Palermo nach einer »provisorischen« Schließung aufgrund von Baumängeln in den 1970er Jahren die Lichter sogar für ganze 23 Jahre ausgingen.

Läuft man vom Teatro Petruzzelli die Uferpromenade wieder ein Stück nordwärts, stößt man übrigens auf ein Kuriosum: das Teatro Margherita, das auf Pfählen im Meer steht. Weil sich die Petruzzelli-Brüder vor ihrem Investment von der Stadt hatten zusichern lassen, dass in Bari keine weitere Bühne mehr gebaut werden dürfe, realisierten ihre Konkurrenten 1912 ihr Projekt kurzerhand jenseits der Wasserkante. Als Bühne diente das Haus allerdings nur kurz, lange wurden dort Filme gezeigt, heute ist hier das städtische Museum für moderne Kunst untergebracht.

Drohnenflug durch das Teatro Petruzzelli