Francesca und Paolo, das berühmte Liebespaar aus Dantes Göttlicher Komödie, erhielten in Peter Tschaikowskys Francesa da Rimini ein ebenso leidenschaftliches wie anrührendes Denkmal. Die Berliner Philharmoniker spielten das Werk zum ersten Mal 1889 – unter der Leitung des Komponisten. Diese Aufführung hatte eine längere und etwas delikate Vorgeschichte … Ein philharmonischer Moment.
Manchmal ist die Kunst der Politik um einiges voraus. Am 8. Februar 1888 stand Peter Tschaikowsky als Dirigent eigener Werke am Pult der Berliner Philharmoniker. Dieser sein erster öffentlicher Auftritt im Konzertleben der deutschen Metropole war ein Ereignis höchsten Ranges.
Der Kritiker der Neuen Musikzeitung jubelte: »Jetzt endlich hat er es für angezeigt gehalten, die stark in die Brüche gegangene deutsch-russische Freundschaft durch sein persönliches Erscheinen, wenigstens auf dem neutralen Boden der Kunst, wiederzubeleben. Dass ihm dies bis zu einem gewissen Grade geglückt ist, steht außer Frage...« Das politische Verhältnis zwischen Deutschland und dem Zarenreich gestaltete sich in jenen Jahren schwierig, Tschaikowsky und seine Musik hingegen eroberten Europa.
Diesen Auftritt Tschaikowskys verdankte das Berliner Publikum der Initiative Otto Schneiders, Hornist und Vorstand der Philharmoniker. Er hatte in einer Musikzeitung gelesen, dass der Komponist eine Europatournee plante und ihn nach Berlin zu einem Konzert mit seinem Orchester eingeladen. Tschaikowsky sagte umgehend zu, allerdings kam es im Vorfeld des Konzerts zu Irritationen.
Der Komponist hatte für die Organisation seiner Tournee den Konzertagenten Dmitri Friedrich engagiert, der ihn lieber an das Concerthaus an der Leipziger Straße vermittelt hätte. Der dortige Klangkörper war der Nachfolger der Bilseschen Kapelle, von der sich sechs Jahre zuvor 50 Musiker, unter ihnen auch Otto Schneider, in Unfrieden getrennt und die Berliner Philharmoniker gegründet hatten. Während Bilse seine dezimierten Reihen mit neuen Musikern aufgefüllt hatte und weiterhin im Concerthaus in der Leipziger Straße auftrat, ehe er seine Kapelle 1885 einem Nachfolger übergab, avancierten seine Ehemaligen in der Philharmonie in der Bernburger Straße zum führenden Orchester der Stadt.
Friedrichs Plan war gar nicht so abwegig, denn der Komponist schätzte Bilses Orchester, das er bereits mehrfach bei früheren Aufenthalten in Berlin erlebt hatte. Noch dazu hatte sich Bilse sehr für Tschaikowskys Musik engagiert, er hatte unter anderem dessen Orchesterfantasie Francesca da Rimini 1878 erstmals in Berlin aufgeführt. Otto Schneider erhielt von Friedrichs Werben für das Concerthaus-Orchester Kenntnis.
Auf gar keinen Fall durfte es den Zuschlag erhalten! Schneider reagierte umgehend. Er schrieb Tschaikowsky und beschwor ihn, nur bei den Berliner Philharmonikern als dem »besten Orchester« der Stadt aufzutreten: »Das sind Sie sich und ihrem guten Künstlernamen schuldig.« Tschaikowsky beruhigte ihn, er habe Friedrich »entschieden« abgesagt und »ausschließlich der Philharmonie den Vorzug gegeben«. Er bestätigte den 8. Februar 1888 als Konzerttag und schickte auch gleich einen Programmvorschlag mit: Zur Eröffnung sollte entweder die Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia oder Francesca da Rimini erklingen.
Anfang Januar 1888 traf er sich in Berlin mit Otto Schneider, einem – nach seiner Beschreibung – »sehr gefälligen, freundlichen Herrn«, um die genaueren Modalitäten des geplanten Konzerts zu besprechen. Die Zusammenstellung des Programms war – wie Tschaikowsky berichtete – »mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft«. Tschaikowsky wollte unbedingt Francesca da Rimini geben, doch Schneider riet ab. »Er hielt es nämlich für gefährlich, bei meinem ersten Auftreten in Berlin ein so kompliziertes Stück zu spielen, das seiner Meinung nach dem Publikum schwerlich gefallen würde«, schrieb Tschaikowsky in seiner Autobiographischen Beschreibung einer Auslandsreise im Jahre 1888.
Schneider wusste, wovon er sprach, hatte er doch noch als Mitglied der Bilse‘schen Kapelle 1878 bei der Aufführung des Werks mitgespielt und die kühle Reaktion des Publikums darauf erlebt. Seine Meinung teilten auch Hans von Bülow, der damalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, und Hermann Wolff, der Konzertagent des Orchesters. Tschaikowsky beugte sich dem Urteil der drei, verzichtete auf Francesca und dirigierte stattdessen Romeo und Julia.
Die Gelegenheit, Francesca da Rimini unter der Stabführung von Tschaikowsky zu hören, erhielt das Berliner Publikum dann im folgenden Jahr während der zweiten großen Europatournee des Komponisten. »Der Saal war überfüllt«, schrieb der Komponist seinem Bruder Modest. »Der Erfolg – ein großer, obwohl Francesca eigentlich nicht die Wirkung ausübte, die ich erwartet hätte: das Orchester spielte nämlich so herrlich, dass mir schien, das Publikum müsse schon allein deswegen in Begeisterung geraten. Sehr deutlich hörte ich zwei oder drei Pfiffe.« Tschaikowskys Bericht deckt sich auch mit den Pressereaktionen.
So schreibt der Kritiker der Vossischen Zeitung: »Die symphonische Dichtung kannten wir bereits aus den Bilse‘schen Konzerten. Auch dieses Mal ist ihr Eindruck auf uns kein günstiger gewesen. Teils wehrt sie ab mit ihren Gewaltsamkeiten im Ausdruck und in der klanglichen Darstellung, teils ermüdet sie durch die endlose Wiederholung unbedeutender Motive.« Tschaikowsky nahm das Urteil der Presse gelassen. Zwei Tage nach dem Konzert in Berlin reiste er weiter nach Leipzig und setzte seine Erfolgstour durch Europa fort.
Peter Tschaikowsky und das Ballett
Peter Tschaikowsky gilt zu Recht als Maestro der Ballettmusik. Er verteidigte sie gegen Zeitgenossen, die sie als bloße Begleitmusik einstuften.
Modest Tschaikowsky: Bruder und Librettist
Dass Geschwister gemeinsam eine Oper schreiben, ist eine Seltenheit. Bei Peter Tschaikowsky und seinem Bruder und Librettisten Modest glückte die Zusammenarbeit im Falle von »Jolanthe« und »Pique Dame«.
Peter Tschaikowsky und Nadeshda von Meck
Sie empfanden sich als Seelenverwandte – und sind sich doch nie persönlich begegnet: Peter Tschaikowsky und die reiche Witwe Nadeshda von Meck.