Siegfried, Wotan, Tannhäuser: Vor allem heroische Männer scheinen Richard Wagners Musikdramen zu prägen. Bei genauerem Hinsehen sind es aber mehr noch seine Frauenfiguren, die mit Tatkraft und Weitsicht den Gang der Ereignisse steuern – und oft das Schlimmste verhindern.
»Ich kann den Geist der Kunst nicht anders fassen als in der Liebe«, schrieb Richard Wagner 1851. Inmitten der mythengesättigten Stoffe seiner Musikdramen ist die zwischenmenschliche Liebe das Leitthema, die Spannung zwischen Trieb und Treue, das Immer-wieder-Scheitern und das Trotzdem-nie-Aufgeben. Lebenslang ein Erotomane und Egomane, wusste Wagner, wie schwierig es ist, das Bedürfnis nach Beständigkeit mit der Lust auf Neues zu verbinden. »Wandel und Wechsel liebt, wer lebt«, lässt er im Ring des Nibelungen Gott Wotan sagen: »Verlangte nach Macht mein Mut […], von der Liebe doch mocht’ ich nicht lassen«. Ähnlich erging es auch dem Komponisten selbst.
Seine erste Ehe mit der Schauspielerin Minna Planer bestand zwar bis zu ihrem Tod, mutierte jedoch bald zur stürmischen On-off-Beziehung. Wie Wagner 1854 seinem Mentor und Freund Franz Liszt anvertraute, flüchtete er sich in Arbeit – und in Affären: »Durch eine vorschnelle Heirat im 23. Jahre mit einer achtungswerten, aber mir ganz unangehörigen Frau bin ich ein fürs Leben Verfemter geworden. Wahrlich, ich lebte bis in mein 36. Jahr, ehe ich jener furchtbaren Öde ganz inne ward. Bis dahin erhielt sich mein Wesen durch das Gleichgewicht zweier in mir streitenden Elemente des Verlangens, von denen ich das eine durch meine Kunst zu stillen suchte, während ich dem anderen periodenweise durch brünstige, phantastische, sinnliche Ausschweifungen Luft machte!«
In dieser Hinsicht blieb Wagner sich zeitlebens treu: Vor und nach der Trennung von Minna durchlebte er eine Reihe von Romanzen, und auch während seiner zweiten Ehe mit Liszts Tochter Cosima entflammte er immer wieder für andere Frauen.
Manche Szene seiner Opern ließe sich als Reflektion von selbst Erlebtem lesen, als Sublimierung eigener Schwächen. Hinzu kommt, dass kein Komponist vor Wagner so lustvoll, ungehemmt, zügellos die körperliche Liebe in Klang gebracht hat– besonders am Ende des ersten Aufzugs der Walküre und im Bacchanal des Tannhäuser. Anders allerdings, als manch patriarchale Bemerkung des Komponisten in seinen Schriften und Briefen vermuten ließe, kommen die Herren der Schöpfung in seinen Werken oft weniger gut weg als die Frauen.
In einem Brief von 1854 machte Wagner seinen Freund August Röckel mit den geistigen Grundlagen zum Ring vertraut und betonte die Wichtigkeit der Verbindung zwischen den Geschlechtern. »Wenn wir jetzt von ›Mensch‹ reden, sind wir allerdings so lieblos dumm, unwillkürlich uns immer nur den Mann zu denken. Erst diese Vereinigung von Mann und Weib, erst die Liebe also erzeugt (sinnlich und metaphysisch) den Menschen.«
Auf diesen Punkt wies auch der Musikschriftsteller Paul Bekker hin: »Man hat seltsamerweise die Ideenwelt Wagners als primär männlich, heroisch aufgefasst, ohne zu sehen, dass das Heldentum des Mannes hier nur eine Nach- und Gegenwirkung ist der führenden weiblichen Kraft. In ihr liegt die eigentliche Lebenslinie der Kunst Wagners«
So sind es in seinen Werken trotz vieler titelgebender Helden meist die Frauen, die früher als ihre männlichen Widerparts die Probleme erkennen, die es zu lösen gilt. Zum Beispiel im Tannhäuser: Eigentlich reist der Titelheld zur Wartburg, um Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, zu heiraten.
Zunächst allerdings gilt es einen Sängerwettstreit zu gewinnen, bei dem Tannhäuser sich zu einem Loblied auf Venus hinreißen lässt. Damit offenbart er, dass er im Venusberg geweilt hat: ein Sakrileg, ein Verbrechen, das Ende jeder Hoffnung für Elisabeth. Doch sie hält erst todesmutig die aufgebrachten Wartburg-Ritter vom Lynchmord ab und führt sie dann, sorgfältig argumentierend, zum christlichen Gebot der Vergebung: Damit rettet sie Tannhäuser das Leben und öffnet ihm den Weg zur Erlösung.
Auch im Ring des Nibelungen erweisen sich die Frauen als diejenigen, die eher durchschauen, wo sich die Männer Illusionen hingeben. Sie verfügen über Weisheit und Weitsicht, während die Männer triebgesteuert, wahnbehaftet oder einfach ein bisschen dumm von einer Misere in die andere geraten. Das beginnt schon im den Ring eröffnenden Rheingold mit einer verhältnismäßig simplen Fehlkalkulation: Wotan lässt sich von den Riesen Fafner und Fasolt eine Götterburg bauen und verspricht ihnen als Gegenleistung seine Schwägerin Freia, ohne diese Verabredung einhalten zu wollen.
Stattdessen vertraut er darauf, sein Gehilfe Loge werde schon ein Ausweg finden. Wotans Frau Fricka hat das von Anfang an moniert – und behält natürlich recht. Im Bestreben, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, verstrickt sich Wotan immer mehr in seinen eigenen Ränken. Nur oberflächlich betrachtet wird Fricka als eifersüchtige Gattin und konservative Anwältin von Ehe und Gesetz dargestellt; tatsächlich hat Wagner sie mit einigen seiner verführerischsten Melodien und messerscharfer Auffassungsgabe ausgestattet.
Über noch tiefere Einsicht verfügt die Göttin Erda, die im Moment der höchsten Krise im Rheingold auftaucht und Wotan vor dem machtvollen, aber verfluchten Ring des Nibelungen warnt. Wie sehr sie damit recht hat, führt der Riese Fafner sogleich drastisch vor Augen, als er im Streit um den Ring seinen Bruder erschlägt. Wotan wird mit Erda später die gemeinsame Tochter Brünnhilde zeugen. Diese wächst zusehends über die ihr vom Vater zugedachte Rolle einer kämpferischen Helferin seiner Pläne hinaus. Am Ende des Rings wird sie dazu beitragen, dass nach dem Untergang der bestehenden Weltordnung der Götter die Menschheit die Chance erhält, sich eine neue Verfassung zu geben.
Auch als Siegmund flüchtend Schutz in Sieglindes Haus sucht, erkennt diese schneller als der Hilfesuchende selbst, was es mit dessen Herkunft auf sich hat. An dem Tag, an dem sie gegen ihren Willen verheiratet wurde, war ein unbekannter Greis – dessen Äußeres sie an ihren verlorenen Vater gemahnte – erschienen und hatte ein Schwert in einen Eschenstamm gestoßen. Seitdem ahnt sie, dass einst jemand zu ihrer Rettung kommen werde. Als der namenlose Krieger in ihr Haus taumelt, erkennt sie die Ähnlichkeit mit dem Alten. Den bald von Liebe entbrannten Gast versucht sie behutsam auf die richtige Fährte zu führen, muss es ihm dennoch kurz vor Aktschluss geradezu vorsprechen, wie er heißt und wer er ist.
Die Liebe zwischen Siegmund und Sieglinde ist nur von kurzer Dauer. Fricka eröffnet Wotan schonungslos, dass ihm nach Recht und Gesetz nichts anderes übrigbleibt, als seinem Sohn das machtvolle Schwert wieder zu entziehen, womit er Siegmund dem Tod ausliefert. Brünnhilde aber schlägt sich auf die Seite der Liebe, sie rettet Sieglinde und deren noch ungeborenen Sohn Siegfried. Auch Siegfried, von Beginn an als »dumm« etikettiert, vermag es nicht, den Ring den Rheintöchtern zurückzugeben und damit den Fluch zu brechen. Dies übernimmt schließlich Brünnhilde – die damit einen weiteren Beleg für weibliche Überlegenheit liefert.
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