In dieser Rubrik stellen wir Berliner Philharmoniker und ihre außermusikalischen Leidenschaften vor. Heute: Klarinettist Wenzel Fuchs, der einst die Skistöcke gegen die Klarinette eintauschte.
»Was wäre, wenn …?« Vermutlich haben die meisten Menschen schon einmal überlegt, wie sich das eigene Leben wohl entwickelt hätte, wenn das eine oder andere Ereignis nicht eingetreten wäre. Der besondere Reiz solcher Gedankenspielereien besteht darin, dass sie völlig spekulativ sind. So auch im Fall von Wenzel Fuchs: Was wäre geschehen, wenn er an jenem Wintertag 1977 nicht mit seinem Ski in einem Loch auf der Piste hängen geblieben wäre? Doch greifen wir der Geschichte nicht vor ...
Solange Wenzel Fuchs denken kann, steht er auf Skiern. Kein Wunder, schließlich gehört seine Heimatgemeinde Brixen im Thale mit ihren breiten und abwechslungsreichen Pisten zu den bekanntesten österreichischen Wintersportgebieten. Auf halber Strecke zwischen Salzburg und Innsbruck gelegen, betrieb seine Mutter dort auch einige Sportgeschäfte, wo bekannte Skirennläufer wie Toni Sailer und Ernst Hinterseer ein- und ausgingen.
Doch für Wenzel Fuchs war der Skisport schnell mehr als eine bloße Freizeitbeschäftigung: Kinderrennclub, Jugendkader, Skigymnasium lauten die Stationen seiner sportlichen Karriere.
Im Gymnasium in Neustift im Stubaital drückten er und seine Mitschüler vormittags die Schulbank, nachmittags ging es auf die Piste. Die Tage waren lang, denn am Abend mussten noch die Hausaufgaben erledigt werden. Last, but not least durfte auch die Musik nicht zu kurz kommen. Seit seinem neunten Lebensjahr spielt Wenzel Fuchs Klarinette und er trat bereits früh mit seinem Vater und seinen Brüdern in der Brixner Blasmusik auf.
Lange war nicht klar, ob der Sport oder die Musik sein Leben bestimmen würde. Dann ereignete sich der Unfall.
Wenzel Fuchs kann sich noch genau an den Moment vor über 45 Jahren erinnern, als er in das Ziel einfuhr und plötzlich mit der Spitze seines Skis in einem Loch hängen blieb. Von hundert auf null in weniger als einer Sekunde. Er war damals 14 Jahre alt, als er einen vierfachen Splitterdrehbruch erlitt und mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden musste. Damit war seine Karriere als Skirennfahrer beendet.
Etwa zu jener Zeit machte der Oboist Jörg Schaeftlein, Mitglied der Wiener Symphoniker, in Brixen Urlaub. Ob er sich den Junior einmal anhören würde, bat Wenzel Fuchs՚ Mutter den berühmten Musiker. »Ich spielte ihm im Geschäft meiner Eltern vor und er meinte, ich müsse nach Wien kommen. Ich fuhr hin.« In der Donaumetropole begann sein zweites Leben, das seither der Musik gewidmet ist.
»Ich kam an die Musikhochschule zu einem Oboenlehrer«, erinnert sich Wenzel Fuchs. »Aber ich habe meine wahre Liebe nicht vergessen, nebenbei Klarinette geübt und nach neun Monaten mit Tränen in den Augen gebeten, Klarinette studieren zu dürfen. Peter Schmidl wurde mein Lehrer.« So tauschte Wenzel Fuchs die Skistöcke gegen die Klarinette ein.
Seine Laufbahn begann er als Soloklarinettist an der Wiener Volksoper und beim ORF Radio-Symphonieorchester, bevor er 1993 in gleicher Position nach Berlin wechselte. Ski läuft er heute nur noch etwa zweimal jährlich im Urlaub. Darüber hinaus joggt er, spielt Tennis und fährt mit dem Fahrrad gerne auf den Teufelsberg. »Für einen gebürtigen Tiroler ist das natürlich allenfalls ein Hügel«, sagt Wenzel Fuchs schmunzelnd. »Doch wenn ich dort oben stehe und auf die Stadt blicke, fühle ich mich ein ganz klein wenig wie in den Bergen.«
Nur mit dem Schnee hapert es in Berlin ja meistens.