In Luigi Dallapiccolas ausdrucksstarker Kurzoper Der Gefangene geht es um existenzielle Begriffe wie Hoffnung und Freiheit – und um deren Missbrauch in Zeiten totalitärer Regime. Eine Werkeinführung.
Luigi Dallapiccolas Entscheidung, sein Leben der Musik zu widmen, und sein »erster Eindruck von Ungerechtigkeit« fielen in dieselbe Phase seines Lebens. Der 13-Jährige wollte Musiker werden, nachdem er im Opernhaus Graz Wagners Fliegenden Holländer gehört hatte. Erst kurz zuvor hatte man die italienischsprachige Familie aus dem damals österreichischen Istrien 1917 in die Steiermark verfrachtet, weil solche Staatsbürger für politisch unzuverlässig und an den Außengrenzen des Reiches für gefährlich erachtet wurden. Dass man seinen Vater, einen geachteten Schuldirektor, derart degradierte, hat den jungen Luigi anhaltend verstört. Als er sich nach seinem Studium in Florenz als Pianist und Lehrer, im Laufe der 1930er-Jahre auch als Komponist zu etablieren begann, griffen die zeitgeschichtlichen Ereignisse immer stärker auf sein Schaffen über: erst der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und Italien, dann der zunehmende Antisemitismus. »Der dritte Schock, Hitlers Bombardement von Warschau am 1. September 1939, intensivierte nur meine Auseinandersetzung mit der Frage der menschlichen Freiheit. 1944–48 arbeitete ich an Il prigioniero. Obwohl ich während dieser Periode auch Werke ganz anderen Charakters schrieb, lebte ich doch im Geiste zehn Jahre lang mit Gefangenen. Ich konnte in diesen schrecklichen Jahren an nichts anderes denken.«
Der Stoff der Oper geht auf die Erzählung La Torture par l’espérance (Die Marter der Hoffnung) von August de Villiers de L’Isle-Adam zurück. In dieser zur Zeit der spanischen Inquisition angesiedelten Geschichte soll der zu Unrecht des Wuchers angeklagte Rabbi Aser Arbarbanel zur Konversion zum Christentum gezwungen werden. Der Rabbi will auch nach einem Jahr voller Folterqualen seinem Glauben nicht abschwören. Nun wartet auf ihn der Scheiterhaufen – und zuvor noch die letzte, im Titel bezeichnete Marter. Um diesem Schicksal eine universellere Dimension zu verleihen, machte Dallapiccola den Rabbi aus Villiers’ Erzählung zu einem namenlosen, offenbar protestantischen Häftling, der mit dem Niederländischen Aufstand gegen die Fremdherrschaft der Spanier und ihres Königs Philipp II. sympathisiert. Im Prolog erscheint seiner Mutter in einer Vision die Gestalt Philipps II., der sich in den Tod verwandelt. Der Kerkermeister weckt Hoffnung – repräsentiert durch die vertrauliche Anrede als »Fratello«, Bruder – und berichtet vom erfolgreichen Aufstand der niederländischen Freiheitskämpfer. Scheinbar versehentlich lässt er die Kerkertür offen. Der Gefangene verlässt die Zelle und findet durch einen langen Gang, in dem ihn zweimal Priester fast entdecken, den Weg bis in den Hof und Garten; die Freiheit scheint zum Greifen nahe. Doch auf dem Höhepunkt seiner Freude über die vermeintlich gelungene Flucht erweist sich die Hoffnung als ultimative Folterqual: Man hat ihn dort erwartet, alle Anzeichen auf Befreiung waren vorgetäuscht. »Warum nur wolltest du uns jetzt verlassen, gerade an dem Abend vor deiner Rettung?« fragt ihn der Großinquisitor, auf den Scheiterhaufen anspielend, zu dem der Gefangene nun geführt wird. Dessen letzten Worte sind eine Frage: »la libertà?« – die Freiheit?