Wissen Sie schon, wie Sie in diesem Jahr Weihnachten feiern? Mit Familie und Freunden oder allein? Gibt es Hirschbraten, eine Weihnachtsgans oder Kartoffelsalat? Kirche, ja oder nein? Wird eher Monopoly gespielt oder gesungen? Apropos Singen: Ist Ihnen beim Schmettern der schönsten Weihnachtsmelodien schon einmal der Gedanke in den Sinn gekommen, wie denn wohl Ihre Lieblingskomponist*innen das Weihnachtsfest verbracht haben könnten? Wir sind dieser Frage nachgegangen und sind auf viele kleine Geschichten gestoßen. Jeden Adventssonntag kommt eine hinzu.
Wir beginnen mit einem Besuch in Berlin. So richtig warm möchte Felix Mendelssohn mit der preußischen Hauptstadt einfach nicht werden. Vor zwei Jahren hat ihn König Friedrich Wilhelm IV. schon einmal mit einer Kapellmeisterstelle hergelockt. Nach nur einem Jahr ist der Komponist wieder nach Leipzig geflohen. Nun soll er aber auch die preußische Kirchenmusik leiten und königlicher Generalmusikdirektor werden. Wer könnte da ablehnen?
Auch wenn der Umzug in das »große, schöne, leere und etwas traurige Haus« noch keinen Monat zurückliegt, kommt die ganze Familie an Weihnachten hier zusammen: Seine Frau Cécile, die fünf Kinder, sein Bruder Paul und seine Schwester Fanny mit Mann und Sohn. Von den letzten Vorbereitungen berichtet er seiner Schwester Rebecka nach Rom:
Berlin, 23sten December 1843.
»Heut ist der Vorabend zum Weihnachtsfest, den will ich dazu benutzen, mit Dir zu plaudern, mein Schwesterlein. Eingekauft ist; angeordnet auch […]. Die Bescheerung wird bei uns sein; die Krone in der blauen Stube wird eben mit Lichtern besteckt, da soll morgen der Christbaum stehn. Das Doppelfenster ist jetzt am mittleren, dafür schenke ich morgen Cécile sechszehn Blumenstöcke,
grosse und kleine, ausserdem ein schwarzes Atlaskleid, einen Hut, einige Kleinigkeiten und eine von meinen wohlbekannten, allzugrünen Landschaften, auf solchem gepressten Kartonpapier; für Paul eine Landschaft vom Kunsthändler Sachse, die er sich besonders gewünscht hatte, für Fanny eine Tischdecke zur blauen Stube, für Hensel einen ungeheuern Schinken mit Rothwein, für Sebastian eine Arbeitslampe, Möbelchen für die Kinder (sie hatten sich Möbel gewünscht) u. s. w.«
Doch wer das Zepter der städtischen Kirchenmusik in Händen hält, muss auch seinen beruflichen Pflichten nachkommen:
»Am ersten Weihnachtsfeiertag habe ich früh zum erstenmal Kirchenmusik mit Orchester, im Dom einen neuen Psalm von mir, dann »uns ist zum Heil« aus dem Messias, dann noch ein Paar neue Kleinigkeiten von mir und einige Choräle mit Posaunen. Am Neujahrstag ist dieselbe Couleur in Grün, d. h. ein anderer neuer Psalm von mir, das Halleluja aus dem Messias und einige Choräle mit Posaunen. Ich sage Dir ganz unter uns, dass ich bis jetzt wenig Vortreffliches von der Sache erwarte, sag’s aber nicht weiter.«
Felix Mendelssohn wurde als Jude geboren, doch seine Familie konvertierte während seiner Kindheit zum Christentum und fügte ihrem Nachnamen den Zusatz »Bartholdy« hinzu. Felix Mendelssohn blieb sein Leben lang stolz auf sein jüdisches Erbe und schätzte besonders das Werk seines jüdischen Großvaters, des Philosophen Moses Mendelssohn. Dennoch fühlte er sich auch dem Christentum nahe, wie nicht nur der besondere Rang des Weihnachtsfestes in seinem Familienleben zeigt. Vor allem hat Mendelssohn einen reichen Schatz an Kirchenmusik hinterlassen, zu dem mit »Hark! The Herald Angels Sing« eines der heute bekanntesten Weihnachtslieder gehört.
Ein emotionales Weihnachten erleben drei Jahre später auch die Schumanns – wenn auch am entgegengesetzten Ende der Gefühlsskala. Schwere Schatten liegen über der Familie: Gerade ist Clara Schumanns Vater gestorben, im Jahr zuvor ihre Mutter und die Tochter Julie. Ihr Sohn Felix leidet an einer unheilbaren Lungentuberkulose. Entsprechend betrübt ist die Stimmung, wie ein Brief an Johannes Brahms zeigt:
Berlin, den 22. Dezember 1873.
»Liebster Johannes,
heute gibt es nur einen Weihnachtsgruß, der Dich heiter und wohlgemut treffen möge. Du wirst, wie immer, von Aufmerksamkeiten überschüttet werden! Ich kenne leider keinen Deiner Wünsche, dessen Befriedigung mir größte Freude wäre, was aber das Herz einer Freundin an liebenden Gedanken und Wünschen spenden kann, das fließt aus dem meinen Dir zu, und so soll’s bleiben. […] Die Kinder grüßen, freuen sich auf Weihnachten. Für mich mischen sich der Gedanken gar zu viel traurige mit hinein, und das kann ja nicht anders sein, wenn man so viel Liebes schon begraben hat! –
Leb’ wohl! Behalte lieb
Deine Clara.«
Als Antwort kommt an Heiligabend eine Überraschung: Brahms hat einige der Gedichte ihres Sohnes Felix vertont, die sie ihm im September hatte zukommen lassen. Auf die Rückseite des Albumblattes schreibt Brahms:
24 Dec 73.
»Liebe Cl.
Die Verse sind mir wirklich Heute Früh in die Hände u. in den Kopf gefallen. Wahrscheinlich weil ich mich ärgerte nie für ein Fest denken u. besorgen zu können. Für die Schwestern kann es ja wohl eine kleine Festgabe sein denn sie werden doch auch gern die Verse des Bruders singen wollen. Ihm selbst oder der gestrengen Mutter sage ich natürlich nur m. Festgruß. Ihr verlebt es gewiß recht froh u. Du läßt auch keine Gedanken herein die nach Moll moduliren? Recht herzlichen Gruß denn auch von mir u. nächstens mehr!
Dein Johannes.«
Fünf Jahre später ziehen sich die dunklen Wolken über Felix weiter zu. Am 1. November 1878 notiert Clara in ihr Tagebuch: »Es begann jetzt eine unbeschreiblich schwere Zeit für uns. Wir sahen Felix täglich schwächer werden, durften uns ihm gegenüber (aber) keinen Kummer merken lassen.« Dann an Heiligabend: »24. December ein trauriger Weihnachtsabend. Ich hätte lieber keinen Baum geputzt, aber gerade wegen Felix mußte ich es… Felix saß mit uns bis 10 Uhr… Es war seit Jahren der erste Weihnachtsabend für ihn zu Hause – der letzte hier auf dieser Erde. Ob er es ahnte?«
Richard Wagner verbringt die Weihnachtstage 1869 im Schweizer Exil in Tribschen. In München, seiner vorherigen Station, hatte er den Unmut der Öffentlichkeit auf sich gezogen: Seine gigantischen Opernprojekte seien zu verschwenderisch. Er mische sich in die politischen Geschäfte Bayerns ein (in einem Zeitungsartikel hatte Wagner die Entlassung mehrerer Kabinettsmitglieder gefordert). Und dann war da noch die Liaison mit der Frau des Hofkapellmeisters Hans von Bülow – Cosima. Als 4.000 Münchner 1845 eine Petition gegen Wagner unterzeichnen, ist König Ludwig II. gezwungen, dem Druck nachzugeben und bittet Wagner, München zu verlassen.
Doch nahe Luzern finden die Wagners ein idyllisches Landhaus und richten sich ein: »Willkommen, Schicksal, Asyl sei Triebschen!«, schreibt Richard an Cosima. Wie das vierte Weihnachten ablief, schildert Cosima in ihrem Tagebuch sehr lebendig. Es ist Heiligabend, ihr Geburtstag:
»[P]lötzlich ist unser Knecht Ruprecht da und brüllt; furchtbarer Schrecken der Kinder, R. besänftigt ihn allmählich, er wirft seine Nüsse aus, großer Jubel der Kinder. Während sie aufklauben, steht das Christkindchen glänzend beleuchtet da. Stillschweigend folgt das ganze Haus, ich voran mit den Kindern; das Christkindchen winkt mit dem Baum und wandelt langsam die Treppe hinunter, es verschwindet durch die Galerie, die Kinder, verblendet von dem Glanz des Baumes und der Spielsachen, sehen es nicht verschwinden.«
Ein Jahr später – das dritte gemeinsame Kind Siegfried ist gerade sechs Monate alt – hält Richard ein ganz besonderes Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk für seine Cosima bereit:
»Wie ich aufwachte, vernahm mein Ohr einen Klang, immer voller schwoll er an, nicht mehr im Traum durfte ich mich wähnen, Musik erschallte, und welche Musik! Als sie verklungen, trat R. mit den fünf Kindern zu mir ein und überreichte mir die Partitur des ›Symphonischen Geburtstagsgrußes‹, in Tränen war ich, aber auch das ganze Haus; auf der Treppe hatte R. sein Orchester gestellt und so unser Tribschen auf ewig geweiht! Die ›Tribscher Idyll‹ so heißt das Werk.«
Was Cosima hier noch »Tribscher Idyll« nennt, kennen wir heute als Siegfried Idyll.
»Sobald Weihnachten vorbei ist, sind die Dinge besser, und das Leben macht wieder Spaß!« Jean Sibelius muss ein echter Weihnachtsmuffel gewesen sein. Dennoch scheut das Ehepaar Sibelius keine Mühen, allen eine schöne Festzeit zu bereiten.
Ehefrau Aino kümmert sich um Eingemachtes und Eingelegtes, Jean feuert den Kamin an, um den sich die Kinder und Kindeskinder versammeln, um die eigens komponierten Weihnachtslieder ihres Vaters und Großvaters zum Besten zu geben. Seine Enkelin Laura Enckell erinnert sich:
Die Kinder wurden in das dunkle Kinderzimmer geführt und später in den Salon gerufen, wo der Weihnachtsbaum mit all seinen Lichtern erstrahlte. Er sollte einen mit seinem Glanz so richtig blenden. Er spielte »On hanget korkeat, nietokset« und spielte es so laut, das Pedal durchgedrückt, als ob er Orgel spielen würde. Es war, als ob er gerne auch hier ein Orchester gehabt hätte. Wir sangen dieses Lied und dann sangen wir »En etsi valtaa, loistoa«. Das war alles sehr vergnüglich. Es war ganz und gar nicht andächtig oder düster.
»En etsi valtaa loistoa« (»Gib mir keinen Glanz, kein Gold, keine Pracht«) ist bis heute eines der beliebtesten Weihnachtslieder in Finnland.