Die Schweizerin Madeleine Carruzzo war die erste Frau, die ein Probespiel der Berliner Philharmoniker gewann und 1982 ihre Stelle als Geigerin in der Gruppe der ersten Violinen antrat - genau hundert Jahre nach Gründung des Orchesters. In der Presse fand dieses Ereignis viel Beachtung, die Aufnahme von Musikerinnen sei – so der Tenor – längst überfällig gewesen. Umso erstaunlicher erscheint es, dass Dirigentinnen in der philharmonischen Geschichte schon sehr früh auftauchen.
Als erste Frau am Pult des Orchesters gilt die Engländerin Mary Wurm, die vor über 130 Jahren, am 5. November 1887, ein Konzert der Philharmoniker in der Berliner Sing-Akademie leitete. 27-Jahre jung reiste die Schülerin von Clara Schumann damals bereits höchst erfolgreich als Pianistin durch Europa. Doch sie besaß nicht nur pianistisches, sondern auch kompositorisches und dirigentisches Talent. Diese Fähigkeiten wollte sie ebenfalls unter Beweis stellen.
In dem philharmonischen Konzert präsentierte sie ausschließlich eigene Werke: ein Klavierkonzert, eine Konzertouvertüre, Lieder und Stücke für Klavier solo. Wie aus dem Programmzettel hervorgeht, dirigierte Mary Wurm nur die Ouvertüre, bei dem Klavierkonzert übernahm sie die Rolle der Solistin, während das Orchester von Gustav Kogel geleitet wurde.
Und noch eines verrät der Programmzettel: Mary Wurm wird als »Concertgeberin« erwähnt. Das bedeutet, dass sie die Berliner Philharmoniker gemietet hat, um ihre Werke in der Öffentlichkeit vorzustellen. Für das Orchester bildeten solche sogenannten »Solistenkonzerte« damals eine wichtige Einnahmequelle.
Und sie sollten es auch noch lange bleiben. 1929 engagierte die in Wien ansässige Komponistin Lise Maria Mayer, eine Schülerin Gustav Mahlers, die Berliner Philharmoniker für die Uraufführung ihrer Symphonie »Kokain«. Leider verlief der Kartenvorverkauf so schlecht, dass Lise Maria Mayers Ehemann zu einer ungewöhnlichen List griff: Er inserierte eine Heiratsannonce, in der eine wohlhabende Witwe interessierte Bewerber dazu aufforderte, für ein erstes Treffen in das betreffende Konzert zu kommen.
Dem Aufruf folgten viele heiratswillige Männer, doch der Schwindel flog auf, es kam zum Skandal und der Gatte musste die finanziellen Folgen tragen. Abgesehen davon konnte Lise Maria Mayer auch künstlerisch nicht überzeugen. Der Kritiker der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt beschrieb die Dirigentin als matt und schwunglos, ihre Symphonie empfand er als Zumutung.
Es gab in jener Zeit auch eine Reihe von Dirigentinnen, deren Können in der Presse Aufmerksamkeit erregte. Zu ihnen gehörte Eva Brunelli, die am 8. November 1923 als erste Frau bei den Berliner Philharmonikern ein abendfüllendes Programm leitete. Sie besitze »musikalische Sicherheit und künstlerische Intelligenz«, hieß es anschließend in den Signalen. Bereits ein Jahr später stand die Engländerin Ethel Leginska am Pult der Philharmoniker. Wie Mary Wurm war sie Pianistin, Dirigentin und Komponistin und in all diesen Funktionen stellte sie sich in ihrem Konzert am 13. November 1924 vor.
1930 hatten gleich zwei Frauen ihren Auftritt bei den Berliner Philharmonikern: die Brasilianerin Joanidia Sodré und die in Rotterdam geborene und in Amerika aufgewachsene Antonia Brico. Für beide Damen bildete das philharmonische Konzert den Abschluss ihres Berliner Musikstudiums. Die ungarische Geigerin Marta Linz und die Pianistin Elly Ney arbeiteten während der 1930er-Jahre mit dem Orchester sowohl als Solistinnen und Dirigentinnen zusammen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Sylvia Caduff die erste Frau, die zu den Berliner Philharmonikern eingeladen wurde. Die damalige Generalmusikdirektorin von Solingen und Schülerin von Herbert von Karajan sprang am 15. Oktober 1978 für den erkrankten Maestro ein und riss das Berliner Publikum zu Bravorufen hin.
In den vergangenen Jahrzehnten ist eine neue Generation von Dirigentinnen herangewachsen, die auch in den philharmonischen Konzerten auftreten: Simone Young, Konstantia Gourzi, Petra Müllejans, Barbara Hannigan, Emmanuelle Haïm und Susanna Mälkki, die im März 2008 ihr philharmonisches Debüt gab und in dieser Saison mit Werken von Ferruccio Busoni, Béla Bartók, Johann Sebastian Bach und Jean Sibelius zu erleben war.