Die Geigerin Lisa Batiashvili berührt durch tief empfundenes, nuancenreiches Spiel. In der Saison 2023/24 ist sie Artist in Residence der Berliner Philharmoniker. In unserem Interview spricht sie über ihre langjährige Freundschaft mit dem Orchester und über ein Konzert, das vielleicht zum Höhepunkt ihres Lebens wird.
Als Geigerin beeindrucken Sie durch Ausdrucksintensität und Klangfarbenreichtum. Wonach streben Sie bei der Gestaltung Ihres Klangs?
Für mich ist mein Klang wie eine Stimme. Viele Musikerinnen und Musiker sind der Meinung, die Schönheit des Klangs sei weniger wichtig als der Ausdruck. Den braucht man auch. Aber für mich spiegelt der Klang der Geige – wie die menschliche Stimme – die Seele des Musizierenden wider. Der Klang hat viel mit meinen eigenen Emotionen zu tun. Ich möchte mit ihm Menschen animieren, in sich zu gehen und die eigenen Gefühle zu reflektieren.
In dieser Saison sind Sie Artist in Residence der Berliner Philharmoniker. Wie sehen Sie dieser Zusammenarbeit entgegen?
Für mich geht damit ein Traum in Erfüllung! Diese Residency ist die Fortführung einer langjährigen Freundschaft mit dem Orchester. Sie gibt mir die Möglichkeit, nicht nur solistisch in Orchesterkonzerten aufzutreten, sondern auch kammermusikalische Projekte mit den Musikerinnen und Musikern zu verwirklichen. Und ich freue mich sehr darauf, zum ersten Mal mit Chefdirigent Kirill Petrenko zusammenzuarbeiten.
Als Sie bei den Berliner Philharmonikern debütierten, waren Sie Mitte 20. Seither sind Sie regelmäßig hier aufgetreten. Wie haben Sie das Orchester bisher erlebt?
Dieses Orchester hat mich bereit als kleines Kind geprägt. Ich bin in der damaligen Sowjetunion mit Aufnahmen der Berliner Philharmoniker groß geworden, die mich sehr beeindruckt haben. Ich wünschte mir sehnlichst, einmal mit diesem Orchester aufzutreten. Das erschien damals ganz unrealistisch, aber dann wurde es wahr! Für mich als Künstlerin ist es jedes Mal ein Fest, mit den Berliner Philharmonikern zusammenzukommen.
Während Ihrer Residency können wir Sie mit zwei Violinkonzerten erleben: mit dem von Johannes Brahms und Karol Szymanowskis Violinkonzert Nr. 1. Letzteres kennt man bei uns nicht so sehr. Was macht dieses Werk für Sie besonders?
Das Szymanowski-Konzert hat eine unglaubliche Kraft und ist von einer verführerischen Sensibilität und Sensualität. Es entstand in Zusammenarbeit mit dem Geiger Paul Kochanski, in den Szymanowski offenbar verliebt war. Das Konzert ist für mich eine Liebeserklärung – der Ausdruck von Empfindungen, die damals nicht ausgelebt werden durften. In der Musik aber sind sie präsent und erzeugen eine ganz besondere Stimmung.
Das Brahms-Konzert ist ein Standardwerk des Repertoires, es begleitet Sie durch Ihr ganzes Berufsleben. Wie bleibt Ihre Neugier darauf lebendig?
Natürlich habe ich das Brahms-Konzert schon oft gespielt – aber noch nie mit den Berliner Philharmonikern. Wie bei allen Meisterwerken kann man in jeder Aufführung etwas Neues entdecken. Das wird auch bei der Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern der Fall sein. Es gibt hier eine große Brahms-Tradition, die sich durch einen warmen, dunklen Klang und eine präzise Artikulation auszeichnet. Ich freue mich sehr darauf, in den Brahms-Klang des Orchesters einzutauchen.
In einem Kammermusikprogramm treten Sie mit dem Komponisten und Klarinettisten Jörg Widmann auf. Was schätzen Sie an ihm und seiner Musik?
Jörg Widmann ist ein langjähriger Freund, ein fantastischer Klarinettist und ein wunderbarer Komponist. Seine Musik ist unglaublich vielfältig und hat trotzdem eine ganz eigene, unverkennbare Klangsprache. Wir wollen zeigen, dass zeitgenössische Musik nicht immer atonal und kompliziert ist, sondern zugänglich und emotional sein kann. Außerdem stellen wir in unserem Konzert Tsotne Zedginidze vor, einen 13-jährigen Pianisten und Komponisten aus Georgien. Er ist ein Jahrhundert-Talent.
Tsotne Zedginidze wird von der Lisa Batiashvili Foundation gefördert. Diese Stiftung haben Sie für georgische Künstlerinnen und Künstler gegründet. Was wollen Sie damit erreichen?
Ich will meiner Heimat Georgien, die ich mit zwölf Jahren verlassen habe, etwas zurückzugeben. Es gibt dort junge Künstlerinnen und Künstler, die mich mit ihrem Talent so berührt haben, dass ich sie auf ihrem Weg unterstützen möchte. Die neue Generation hat eine unglaubliche Vielfalt an Talent und eine große Bedeutung für unsere Zukunft in der klassischen Musik. Diese jungen Musikerinnen und Musiker können so vieles schon so früh und das möchte ich unterstützen. Georgien ist ein Land, das künstlerisch sehr weit ist und viele großartige Künstler zu bieten hat. Diese Künstler durch die Kultur und Musik so bekannt und sichtbar wie möglich zu machen, das ist für uns Georgier eine der größten Kräfte und Stärken, und hilft unserem kleinen Land.
In Georgien wird in dieser Saison auch das Europakonzert der Berliner Philharmoniker stattfinden, mit Ihnen als Solistin. Was bedeutet Ihnen dieser Auftritt?
Ich glaube, dieses Konzert wird das Highlight meines Lebens! Ich bin überglücklich, dass die Menschen in Georgien die Möglichkeit erhalten, ein so großes, traditionsreiches Orchester in ihrem Land live zu erleben. Natürlich hat dieses Konzert auch eine politische Bedeutung. Denn Georgien kämpft schon viele Jahre darum, Teil der europäischen Familie zu werden. Kulturell ist es eigentlich schon längst Teil Europas. Das soll dieses Konzert deutlich machen. Für Georgien wird das vermutlich einer der wichtigsten kulturellen Momente überhaupt, da zum ersten Mal ein so großes Orchester nach Georgien kommt, und dazu eines der weltweit besten. Das ist natürlich eine große Aufgabe für uns. Wir arbeiten dazu in Georgien mit einem ganz besonderen Team, das trotz der Herausforderungen diese Meinung mit mir teilt, dass die Berliner Philharmoniker aus sowohl kulturellen als auch politischen Gründen unbedingt nach Georgien kommen muss.
Auf was freuen Sie sich bei dieser Residency am meisten?
Als erstes freue ich mich darüber, längere Zeit in Berlin zu sein und von der Vielfalt, die diese Stadt anzubieten hat, zu profitieren. Ich freue mich auf die verschiedenen Projekte mit den Berliner Philharmonikern, mit Menschen, mit denen ich schon viel musiziert habe und seit langer Zeit befreundet bin, das ist wirklich wie eine musikalische Familie. Dann freue ich mich auf die Vielfalt des Repertoires und auf die erste Zusammenarbeit mit Kirill Petrenko. Und wie schon erwähnt, spielt für mich der musikalische Nachwuchs eine große Rolle und daher freue ich mich auch besonders auf die erste Begegnung mit der Karajan-Akademie.