Als Hans von Bülow 1887 die Leitung des Berliner Philharmonischen Orchesters übernahm, zählte er zu den bedeutendsten Dirigenten seiner Zeit. Bei seinem Nachfolger hingegen setzte man auf einen jungen, kaum bekannten Namen: Arthur Nikisch. Der gebürtige Ungar war gerade aus Amerika zurückgekehrt, wo er vier Jahre lang das Boston Symphony Orchestra geleitet hatte.
Nikisch, der seine Laufbahn als Geiger im Wiener Hofopernorchester begonnen hatte und neben seinem Berliner Amt auch Chef des Leipziger Gewandhausorchesters war, besaß ein großes Einfühlungsvermögen und eroberte die Herzen der Musiker im Sturm.
Sie ließen sich bedingungslos von ihm führen und gaben alles für ihn. »Es kann ohne Zögern behauptet werden, dass in einem erstrangigen Orchesterkörper ein jedes Mitglied die Bezeichnung ›Künstler‹ verdient«, hat Nikisch einmal geschrieben. Mit diesem Credo trug er bei den Berliner Musikern wesentlich zu dem »solistischen« Selbstverständnis bei, das bis heute eine der unverwechselbaren Qualitäten der Philharmoniker darstellt.
Der Kontrast zu Bülow konnte nicht größer sein: Zeichneten sich dessen Interpretationen durch intellektuelle Durchdringung und klassische Strenge aus, so setzte Nikisch, der mit einer ruhigen, sparsamen Gestik dirigierte, auf eine romantische, sinnliche Farbgebung und eine rhapsodische, wie improvisiert wirkende Weite.
Er verschob die programmatischen Schwerpunkte, lancierte nicht nur das deutsche Repertoire, sondern dirigierte Kompositionen von Tschaikowsky, Berlioz, Liszt, Strauss, Mahler – und vor allem Bruckner. Den neuen kompositorischen Ideen eines Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern, Igor Strawinsky oder Maurice Ravel stand er jedoch verständnislos gegenüber. Im Gegensatz zu Bülow war er kein Probenfanatiker, vielmehr verließ er sich auf die Intuition des Augenblicks und empfand sich bei Konzerten als Neuschöpfer der Werke.
Unter seiner Leitung gewann das Orchester international an Geltung, alle Solisten von Rang und Namen kamen nach Berlin, um mit den Philharmonikern aufzutreten. Doch nicht nur das. Nikisch unternahm mit dem Orchester viele Reisen und mehrte so dessen Weltruf.
Er fuhr auf Wunsch von Kaiser Wilhelm II. 1896 zur Krönung von Zar Nikolaus II. nach Moskau und eroberte im folgenden Jahr beim legendären Gastspiel in Paris das französischen Publikum im Sturm, das nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg zunächst einige Ressentiments gegenüber den Berlinern gehegt hatte.
Nikisch leitete die Philharmoniker 27 Jahre und dirigierte in dieser Zeit mehr als 600 Konzerte, ehe er 1922 – für viele überraschend – im Alter von 66 Jahren an einer Grippe starb.