Im Januar 1944 fallen Bomben auf die Berliner Philharmonie in der Bernburger Straße und zerstören ein Gebäude mit legendärer Akustik, an das heute nur mehr ein Torbogen erinnert. Die Philharmoniker sind ohne Heimstätte, konzertieren zwar noch bis wenige Wochen vor Kriegsende, aber eben in Behelfsdomizilen.
Das Vakuum hält nach dem Krieg noch lange an. Ein wichtiger Auftrittsort wird ein Kino, der Titania-Palast in Steglitz. Doch der kann den Chefdirigenten Wilhelm Furtwängler auf die Dauer nicht zufriedenstellen. Er träumt vom Bau einer neuen Philharmonie und findet einen aktiven Mitstreiter in Erik Reger, dem Gründer des Tagesspiegel. Der veröffentlicht in seinem Blatt am 25. September 1949 einen Aufruf zur Gründung einer »Gesellschaft der Freunde der Berliner Philharmonie«, der mit dem Satz beginnt: »Das Berliner Philharmonische Orchester ist als Kulturinstitution von glanzvoller Tradition und internationaler Bedeutung nicht nur eine Berliner Angelegenheit, sondern eine Herzenssache für ganz Deutschland.« Solches hat auch die soeben gegründete Bundesrepublik begriffen, und so sind die Spitzen des Staates, Bundespräsident Theodor Heuß und Bundeskanzler Adenauer bereit, zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, das Ehrenpräsidium der zu gründenden Gesellschaft zu übernehmen. Der kurz zuvor verstorbene Richard Strauss hatte noch sein Interesse am Ehrenpräsidium bekundet. Viel Prominenz aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft unterzeichnet den Aufruf.
Am 5. Oktober 1949 erteilt der Magistrat von Groß-Berlin der Gesellschaft die Zulassung als »nichtpolitische Organisation«. Von einer Restituierung der Philharmonie in der Bernburger Straße wird schon im Gründungsaufruf abgeraten: »Der Wiederaufbau der Philharmonie an der alten Stelle ist aus verschiedenen Gründen, unter denen auch die Lage an verschiedenen Sektorengrenzen und inmitten eines Trümmerfelds eine Rolle spielt, nicht empfehlenswert.« Aber wo die Philharmonie neu errichten? Diese Frage hat ein langes Hin und Her zur Folge, das erst nach zehn Jahren eine endgültige Entscheidung zeitigen sollte. Doch zunächst sind die notwendigen Formalien zu erledigen. Schon am 17. Oktober 1949 findet die konstituierende Versammlung statt, in der Furtwängler der Vorsitzende der Gesellschaft wird und Erik Reger sein Vertreter. Schatzmeister wird Hans von Dresky-Düffe und Schriftführer der Musikwissenschaftler Walter Gerstenberg.
Es wird ein Arbeitsausschuss gebildet, der am 27. Oktober seine erste Sitzung im Beisein von Ernst Reuter hat. Am 12. April 1950 wird die Gesellschaft ins Vereinsregister eingetragen, und am 7. Februar 1952 wird ihr vom Bundesminister für Finanzen die Gemeinnützigkeit zugesprochen. Rasch wird begonnen, Geld zu sammeln. Am 25. März 1950 wird eine erste Losbrief-Lotterie eröffnet, der in den nächsten beiden Jahren zwei weitere folgen sowie ein Tombola, die Ernst Reuter persönlich eröffnet. Er hatte bestimmt: Sobald die Gesellschaft eine Million DM eigenes Vermögen einbringen könne, werde das Projekt weiter gefördert. Das Ziel wird im Juni 1955 erreicht. Große Künstler geben Benefizkonzerte für den guten Zweck. Der italienische Tenor Benjamino Gigli singt in seinen höchsten Tönen, Paul Hindemith ergreift seine Bratsche und dirigiert auch das Philharmonische Orchester, Pierre Fournier spielt Cello, und der Ausdruckstänzer Harald Kreutzberg stellt sich zwei Mal in den Dienst der Sache.
Es gibt aber auch von vornherein immer wieder bittere Rückschläge. Man hatte gehofft, eine Zuwendung der Amerikaner an die Stadt in Höhe von 5 Millionen DM könne für die Philharmonie verwendet werden. Der Senat aber bestimmt sie für den Aufbau der Amerika-Gedenkbibliothek am Halleschen Tor. Am 9. Mai 1952 sagt der Finanzsenator Dr. Haas 2,5 Millionen aus einem Groß-Berlin gehörenden gesperrten Guthaben von 7,8 Millionen DM zu, am 30. November 1954 widerruft er die Zusage, ausgerechnet am Todestag Wilhelm Furtwänglers. Dafür sagt der Bund 2 Millionen ERP-Gelder aus dem Marshall-Plan zu. Das Orchester gibt in Bonn am 12. Mai 1952 ein Dankkonzert.
Der erste Vorschlag für einen Standort der Philharmonie kommt in der Mitgliederversammlung vom 29. Januar 1952: das Gebäude des ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasiums in der Bundesallee 1 – 12, das teilweise im Krieg zerstört wurde. Man beharrt lange Jahre auf diesem Standort. Das endlose Tauziehen geht um die Frage Ausbau, Umbau oder Neubau. Und natürlich um die Finanzierung. Am 15. Oktober 1955 stellt der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 2 Millionen DM zur Verfügung. Und am 30. Januar 1956 ergeht ein wichtiger Senatsbeschluss: In der Bundesallee soll ein vollständiger Neubau mit 2000 Plätzen errichtet werden. Als Bausumme werden 7 Millionen DM veranschlagt; davon soll die Gesellschaft eine Million aufbringen.
Das Abgeordnetenhaus beschließt kurz danach, als Bauherrn eine »Konzerthaus der Berliner Philharmoniker GmbH« einzusetzen. Sie wird am 14. August 1956 gegründet. Geschäftsführer werden Senatsrat Dr. Riedel und als Vertreter der Gesellschaft Diplomkaufmann Wolfang Rect. Die Gesellschaft bringt in die GmbH 900.000 DM ein. Ihr Kuratorium beschließt, einen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Die Kosten trägt allein die Gesellschaft. Der Entwurf von Prof. Hans Scharoun wird am 16. Dezember 1956 mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Dieser Entwurf passt freilich nicht mehr in das ursprüngliche Konzept mit dem Joachimsthalschen Gymnasium. So stellt die SPD im Juli 1957 im Abgeordnetenhaus den Antrag, der Senat möge sich nach besseren Standorten umsehen. Noch einmal gibt es im Oktober einen Mehrheitsbeschluss für die Bundesallee, aber das Abgeordnetenhaus gibt kein Ruhe mehr, bis endlich der Senat am 5. Februar 1959 beschließt, den Bauort an den Kemperplatz zu verlegen.
Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Gesellschaft werden die Verträge mit Prof. Scharoun und Prof. Cremer als Akustiker geschlossen. Und am 6. September 1960 genehmigt der Senat endlich den Neubau zu der veranschlagten Summe von nunmehr 13,5 Millionen DM. Am 19. September 1960 legt Herbert von Karajan den Grundstein. In ihn eingeschlossen ist eine Urkunde mit der bemerkenswerten Vision: »Möge das vollendete Bauwerk in einem wiedervereinigten Deutschland in der nicht mehr gespaltenen Bundeshauptstadt Berlin ein dem politischen Alltag und seinen Wirren entzogener Sammelpunkt für alle Berliner Bürger sein.« Die Hoffnung sollte sich erst drei Jahrzehnte später erfüllen. Am 1. Dezember 1961 kann schon Richtfest gefeiert werden. Anfang 1962 geht an die Gesellschaft eine Spende der Deutschen Klassenlotterie in Höhe von 500.000 DM für die Bestellung einer Orgel bei der Firma Karl Schuke Berliner Orgelbau.
Am 23. November 1962 dürfen Mitglieder der Gesellschaft schon den Rohbau besichtigen. Für sie wird auch am Tag vor der festlichen Eröffnung, am 14. Oktober 1963, ein Vorkonzert veranstaltet, in dem Herbert von Karajan bereits die Neunte von Beethoven dirigiert. Am 17. Dezember wird der Mitgliederversammlung ein Bericht des Vorstands über die Leistungen der Gesellschaft für den Neubau der Philharmonie vorgelegt:
Einlage Konzerthaus GmbH: 900.000 DM
Bauzuschuss: 100.000 DM
Gesamtes Gestühl: 420.000 DM
Architektenhonorar: 70.710 DM
Eine stolze Bilanz. Dennoch geht die Mitgliederzahl der Gesellschaft bis Ende des Jahres auf 280 zurück. Und selbst aus den Reihen des Vorstands kommt der Vorschlag, die Gesellschaft aufzulösen. Dabei warten auf sie durchaus weitere Aufgaben. Vornehmlich die Errichtung des Kammermusiksaals. Dem wendet sich die Gesellschaft dann doch mit erneuerter Energie zu. Es sollte freilich noch einmal ein Vierteljahrhundert dauern, bis der Kammermusiksaal fertig wurde. Doch nun steht er neben der Philharmonie, und heute nicht mehr am Rande von West-Berlin, einen Steinwurf von der Mauer entfernt, sondern im Herzen der wiedervereinigten Stadt. Und beide Gebäude, Zentren höchster Kultur, verdanken sich nicht unwesentlich einem unbeugsamen Bürgerwillen, der sich in der »Gesellschaft der Freunde der Berliner Philharmonie e. V.« manifestierte.