Was waren es für Querelen und Kämpfe, was für ein publizistisches Hickhack, bevor am 28. Oktober 1987 schließlich die Eröffnungs-Fanfaren geblasen werden konnten, um mit Kleists Prinzen von Homburg zu sprechen. Und wie wurden sie vom Architekten des Kammermusiksaals, Edgar Wisniewski, später lebendig und im Gespräch gehalten.
Mit kämpferischer Klage, könnte man sagen, denn Edgar Wisniewski (1930-2007) bemängelte die vermeintliche Kulturfeindlichkeit der Berliner Politik und seiner eigenen Architektenkollegen ebenso gern, wie er vehement für seine Ideen und Ziele eintrat, die er stets im Namen seines architektonischen Mentors und späteren Partners Hans Scharoun vortrug. Dass der Kammermusiksaal nicht in naher Zeitfolge zur Philharmonie noch in den 1960er-Jahren realisiert wurde, empfand Wisniewski als Berliner Affront gegen die Musikkultur. Jedenfalls organisierte er durch die 1970er-Jahre hindurch unermüdlich Benefizkonzerte und sammelte, maßgeblich unterstützt von der »Gesellschaft der Freunde der Philharmonie«, eine beträchtliche Menge Spenden für den Bau; vergeblich. Erst der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker gab 1983/1984 im Rahmen der Planungen für die 750-Jahrfeier Berlins 1987 schließlich grünes Licht für die kammermusikalische Ergänzung der Philharmonie.
Zur Eröffnung des Kammermusiksaals wurde ein Kammermusikfest veranstaltet, das es in diesen Dimensionen seither nicht mehr gegeben hat. Die edle Feier zur Einweihung mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl als prominentestem politischen Gast, mit dem schon schwer gezeichneten Herbert von Karajan, der sich die Einweihung des Saals gleichwohl nicht nehmen lassen wollte und zu Ehren der kammermusikalischen Atmosphäre sein Dirigat vom Cembalo aus wahrnahm, sowie Anne-Sophie Mutter als Starviolinistin des Abends ist selbstverständlich in Bild und Ton bestens dokumentiert. Der Musikkritiker Gerhard R. Koch berichtete kurz darauf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom spektakulären Abend (FAZ vom 30.Oktober 1987). Seine Rezension ist auch deswegen in Erinnerung zu rufen, weil er als einziger das Motiv der Bewegung im Raum aufgriff. Demzufolge gab es nur beim feierlichen Entreekonzert mit Karajan und Anne-Sophie Mutter wegen Sicherheitsbedenken für die prominenten Gäste sowohl strengste Einlasskontrollen als auch fixierte Sitzplätze. Danach wurde das Konzert geöffnet und zu einer opulenten Demonstration der vielfältigen Möglichkeiten, die dem Philharmonischen Orchester in der fließend verzahnten Architektur am Kemperplatz zur Verfügung steht.
Das Kammermusikfest war der Idee und Intention nach eben nicht nur zur Darbietung der Akustik des neu errichteten Saals gedacht, sondern sollte auch Flexibilität, Porosität und interne Verbundenheit des räumlichen Gefüges von Philharmonie, Musikinstrumentenmuseum und Kammermusiksaal zeigen. So schwappte das Publikum vom neuen Saal durch die Foyerlandschaft zur Philharmonie, weiter zum Musikinstrumentenmuseum und wieder zurück, stets angelockt und verführt durch die zahlreichen kammermusikalischen Ensembles und Gruppierungen, die sich im und aus dem Orchester gebildet haben. Zu den Skurrilitäten gehört, dass dabei offenbar auch während der Musikdarbietungen im Kammermusiksaal umhergegangen wurde, um die Akustik des jeweiligen Stücks vom Block A nahe dem Podium bis hinauf zu den drei legendären Musikemporen zu prüfen. Aus diesen und dem mittigen Podiums-Hexagon hatte sich das streng symmetrische innere Raumgefüge des Kammermusiksaals entwickelt, beide Elemente waren Wisniewskis gestalterische Essentials. Für den üblichen Konzertbetrieb ist solch ein Umhergehen und wanderndes Erfahren der Musik natürlich so gut wie gar nicht vorstellbar. Und dennoch entspricht es auf seltsam genaue Art den Grund-, man sollte in der Rhetorik von Scharoun und Wisniewski sagen, den Urideen der Architektur sowohl des Kammermusiksaals als auch der Philharmonie.
Auch in einem Geburtstagsartikel für den Kammermusiksaal sollte man jedoch zwei heikle – oder sagen wir delikate Themen nicht aussparen: Damit sind nicht etwa die Gestehungskosten gemeint, die sich nach Berlin-typischer Manier während der Bauzeit verfünffachten; immerhin sind die schließlich knapp 123 Millionen DM (!) gut und nachhaltig angelegt. Vielmehr sind es die Größe des Saals und seine Lage. Vielen nämlich erscheint er trotz aller akustischen Qualitäten als zu groß und nicht so intim, wie man es sich für Kammermusik erwartet, bei der, wie Wisniewski sich ausdrückte, »ein paar Freunde Beethoven oder Schubert beim Spielen eines neuen Werks über die Schulter blicken.« Die Erfahrung zeigt, dass im üblichen Konzertbetrieb meist ein Viertel bis Drittel der Stühle frei bleibt. Dem entspricht die durchschnittliche Jahresauslastung von gut über 60 Prozent. Besieht man sich auf dieses Thema hin die Dokumente, so fällt durchgängig auf, dass der Kammermusiksaal auf allen Wettbewerbsmodellen und Fotos in seinen Proportionen zur Philharmonie deutlich kleiner war. Erst 1969 taucht plötzlich die Ziffer von 950 Sitzplätzen auf; laut Wisniewski war es eine Festlegung durch den damaligen Kultursenator Werner Stein. Sie scheint nie wieder überprüft worden zu sein, wie es im Planungsprozess eigentlich üblich ist, zumal bei solch langer Planungszeit. Aber weder vom Architekten mit seinem entwurfsästhetischen Gewissen noch vom Bauherrn mit seiner finanziellen Verantwortung wurde die Zahl wieder diskutiert. Sie wurde lediglich im Verlauf der Entwurfsarbeit zwischenzeitlich mal auf 1250 Stühle hoch geschraubt, um schließlich bei der heutigen Zahl von 1136 Plätzen zu landen; immerhin auch noch knapp 200 Plätze mehr als anfänglich festgelegt. Abgesehen von der Außenwirkung im Stadtraum ist eine Folge davon der in der Saalgestaltung durchlaufende »Lichtkreis«, der den Ober- vom Unterring trennt. Er wiederum widerspricht leise dem Gebot des von Wisniewski und Scharoun proklamierten »demokratischen Musikgenusses« der urmenschlich gleichen Musikliebhaber.
Das zweite Thema ist die Lage des Kammermusiksaals. Zwar ist sein Ort am Rand der innerstädtischen Parklandschaft des Tiergartens, aber ebenso unbestreitbar nicht jwd, wie die Berliner sagen, »janz weit draußen«. Leider aber fühlt es sich am Kulturforum meist so an. Und das ist von Beginn an das städtebauliche Problem des Kulturforums gewesen, das seit seiner Formulierung 1964 bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte. Heutzutage reagieren die mittlerweile auch globalisiert durch die Welt jettenden Musiker, die im Kammermusiksaal auftreten, begeistert auf ihn und empfinden ihn als »unique« – wobei in hübscher Weise offen gelassen werden kann, ob das französisch oder englisch ausgesprochen wird. Gleichwohl sagen sie ebenso spontan, dass dem Kulturforum insgesamt noch »die Mauer eingeschrieben ist«. Damit reagieren sie auf die introvertierte und städtisch fast autistische Atmosphäre des Areals, die zu Zeiten Westberlins auch auf Abschottung gegenüber dem »Osten« ausgerichtet war. Der politische Osten aber ist nach dem Mauerfall heute wieder die stadt- und kulturhistorische Mitte Berlins.