Autor*in: Clemens Matuschek

Entstehungszeit: 1884-1890
Uraufführung: 18. Dezember 1892 in der zweiten Fassung im Wiener Musikvereinssaal durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Hans Richter
Dauer: 87 Minuten

  1. Allegro moderato
  2. Scherzo. Allegro moderato – Trio. Langsam
  3. Adagio. Feierlich langsam, doch nicht schleppend
  4. Finale. Feierlich, nicht schnell

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 29. Oktober 1906, Dirigent: Arthur Nikisch

»Halb Genie, halb Trottel« – so beschrieb Hans von Bülow, erster Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, einmal Anton Bruckner. Diese paradoxe Charakterisierung ist symptomatisch. Mit dem Zwiespalt zwischen hohen Ehren und niedriger Herkunft, zwischen geistigen Höhenflügen und irdischen Ärgernissen rang Bruckner sein Leben lang. Geboren als Sohn eines Dorfschullehrers, kam er als Chorknabe zur Musik und wurde zunächst Organist am heimatlichen Stift St. Florian und in Linz, später Hoforganist und Professor für Kontrapunkt in Wien. Seine schlabberigen Anzüge legte er allerdings genauso wenig ab wie seinen deftigen Akzent, der mit Vorliebe in Lautschrift überliefert wird.

Wie unbeholfen er sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte, zeigt der Brief, mit dem er 1890 bei Kaiser Franz Joseph I. »am allerhöchsten Throne zu Höchstdessen Füßen« anfragte, ob er ihm seine Achte Symphonie widmen dürfe – wobei er sich vor lauter Unterwürfigkeitsfloskeln völlig verhaspelte: »Eure Kaiser. und Königl. Apostol. Majestät wollen allergnädigst geruhen, die allerehrfurchtsvollste Dedication im Falle allerhöchster Auszeichnung allergnädigst Gnade zu bewilligen und allergnädigst zu gestatten, die alleruntertänigste Dedication auf das Titelblatt setzen zu dürfen.«

Nun, seine Majestät geruhte und übernahm die Druckkosten. Gut drei Jahre hatte Bruckner (mit Unterbrechungen) an dem Werk gearbeitet. Am Ende blickte er auf die längste Symphonie, die die Musikgeschichte bis dahin gesehen hatte. Allein das Adagio dauert 25 Minuten! Und schon der düstere, schicksalhafte Beginn des Kopfsatzes signalisiert eine Dramatik, die sich immer wieder über lange Strecken auftürmt und machtvoll entlädt. Fans werden typische Elemente wiedererkennen, beispielsweise den »Bruckner-Rhythmus« aus zwei Vierteln und einer Triole, oder die Eigenart, Instrumentengruppen blockweise einzusetzen, wie ein Organist unterschiedliche Register zieht.

Mit der Uraufführung wollte Bruckner 1887 den befreundeten Münchner Dirigenten Hermann Levi beauftragen. Zwei Gründe sprachen dafür: Erstens hatte Bruckner ihn fünf Jahre zuvor bei der Uraufführung von Wagners Parsifal in Bayreuth erlebt und war tief beeindruckt. Zweitens hatte er selbst bei der Wiener Musikpresse einen schweren Stand; insbesondere der bedeutende Kritiker Eduard Hanslick nahm ihm seine Wagner-Verehrung übel und überschüttete ihn regelmäßig mit Häme. Also sollte das neue Werk zunächst auswärts erklingen.

Doch zu Bruckners Entsetzen lehnte Levi ab und empfahl eine Umarbeitung, die der Komponist – nachdem der erste Schreck verdaut war – auch in die Tat umsetzte. So sind die Holzbläser durchgängig dreifach besetzt und ermöglichen eine maximale Differenzierung des Klanges. Die Wagner-Tuben – eine vom verehrten Meister höchstselbst erfundene Horn-Art – erklingen nicht mehr nur im Finale, sondern auch schon in den vorigen Sätzen. Auch die Harfen, die Bruckner zum einzigen Mal in einer Symphonie besetzt, bekommen mehr Spielzeit. Sein Kommentar: »A Harf’n g’hert in ka Symphonie, aber i hab’ ma nöt helf‘n könna!«

Die von Levi als »schablonenhaft« kritisierte Form veränderte er ebenfalls: Er vertauschte die Mittelsätze, so dass nun auf den Kopfsatz zunächst das leichtgängigere Scherzo und dann das hymnische Adagio folgt. Und er revidierte den Schluss des ersten Satzes, der sich anstelle einer mächtigen Apotheose nun leise ausblendet. Damit spannte er eine plausiblere Gesamtdramaturgie auf: War die Erstfassung gewissermaßen kopflastig und hatte ihr Pulver schon früh verschossen, läuft nun alles auf das als »feierlich« bezeichnete Finale hinaus. Die Maßnahmen zeigten Wirkung; das Publikum der Uraufführung Ende 1892 – nun doch in Wien – überschüttete das Werk mit Jubel. Nach jedem einzelnen Satz (!) musste sich Bruckner auf der Bühne verbeugen: eine Begeisterung, die bis in unsere Zeit anhält.