Autor*in: Anselm Cybinski

Entstehungszeit: 1943-1945
Uraufführung: 1. Dezember 1944 in der Boston Symphony Hall mit dem Boston Symphony Orchestra, Dirigent: Sergej Kussewitzky
Dauer: 38 Minuten

  1. Introduzione. Andante non troppo
  2. Giuoco delle coppie. Allegretto scherzando
  3. Elegia. Andante, non troppo
  4. Intermezzo interrotto. Allegretto
  5. Finale. Pesante - Presto

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals Anfang Juli 1949 im Berliner Titania-Palast unter der Leitung von Ferenc Fricsay

Bartóks populärstes Orchesterstück, das letzte, das er vollenden konnte, hat nur noch wenig gemein mit der asketischen, beißend dissonanten Sehnigkeit seiner mittleren Periode. Es ist reich an eingängigen, folkloristisch inspirierten Themen, gibt sich fasslich in Form und Proportionen, und es gehorcht einer im Kern romantischen Dramaturgie. Laut Bartóks eigenen Erläuterungen führt die innere Handlung »von der Strenge des ersten Satzes und dem düsteren Todeslied des dritten zur Lebensbejahung des letzten«. Die effektvolle Instrumentalbehandlung, die die Gruppen reihum solistisch hervortreten lässt, prädestiniert das Stück zum »Showpiece« eines jeden Spitzenorchesters. Bartóks Rückkehr zu einer traditionsverhafteten Satztechnik ist nach 1945 scharf kritisiert worden. Dabei hatte die Preisgabe einer entschieden »modernen« Position nicht nur künstlerische Gründe. Bartóks konservative Wende deutete sich ohnehin schon länger an. Bereits Ende der 30er-Jahre sprach sich der Komponist für ein Streben nach »inspirierter Einfachheit« in der Musik aus. Seit 1940 mit seiner zweiten Frau im Exil in New York ansässig, fühlte sich Bartók von den amerikanischen Orchestern de facto boykottiert; seine kompositorische Laufbahn betrachtete er, wie er einmal schrieb, als »sozusagen beendet«.

Er lebte sozial isoliert, war immer wieder krank und weitgehend mittellos, als seine prominenten Landsleute, der Dirigent Fritz Reiner und der Geiger Joseph Szígeti, ihm Anfang 1943 bei Sergej Kussewitzky den Auftrag für ein großes Orchesterwerk verschafften. Kussewitzky konnte kaum damit rechnen, dass der seit Wochen im Krankenhaus liegende Komponist das Werk wirklich würde schreiben können. Wider Erwarten verbesserte sich Bartók Zustand jedoch – die Leukämie-Diagnose wurde ihm vorenthalten –, und innerhalb von zwei Monaten konnte er das Konzert vollenden.

Bartók verband den langen Atem der großen symphonischen Epen der Spätromantik nun mit der für einige seiner Hauptwerke charakteristischen symmetrischen Brückenform: Zwei scherzoartige Sätze umschließen ein zentrales langsames Stück, das den expressiven Kern des Ganzen enthält; zwei der Sonatensatzform folgende schnelle Sätze wiederum bilden den äußeren Rahmen. Das Konzert für Orchester zieht die Summe eines Lebenswerks: Wenn Bartók neobarocke Fanfaren und in feierlichem Blechbläserglanz erstrahlende Fugati auf die ungeraden Metren und komplexen Modi der balkanischen Bauernmusik treffen lässt, wenn er den derben Humor des zweiten und vierten Satzes mit der magischen Nachtstimmung der zentralen Elegia kontrastiert, dann bewahrt er sich in all der polyglotten Mischung der Idiome doch seinen typisch herben, unsentimentalen Tonfall. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs waren klare Botschaften das Gebot der Stunde: Noch einmal wurde symphonische Musik zum Vehikel kollektiver Ideale und Emotionen. So mancher Komponist verwechselte da Popularität schon mal mit Populismus. Bartók sah es mit Argwohn. Im vierten Satz, dem Intermezzo interrotto, rührt er die Melodie von »Da geh ich ins Maxim« aus Franz Lehárs Operette Dielustige Witwe mit einem Splitter des Invasionsmotivs aus dem Kopfsatz von Schostakowitschs »Leningrader« Symphonie zusammen. Über den Hörfunk hatte Schostakowitschs Symphonie weltweit 1942 ein Millionenpublikum erreicht. Das Lachen über so viel Banalität hat Bartók gleich mitkomponiert. Nur einen Moment lang ist dieses Lachen zu hören. Doch man glaubt die Grausamkeit eines ganzen Jahrhunderts darin zu erkennen.