Entstehungszeit: 2005-2006
Dauer: 6 Minuten
Als Simon Rattle 2006 von seiner Plattenfirma gebeten wurde, Gustav Holsts Die Planeten mit den Berliner Philharmonikern einzuspielen, da beschloss er, nicht nur den Repertoirehit aus seiner Heimat England aufzunehmen (das hatte er bereits zweimal getan), sondern ein »Ad Astra«-Projekt zu starten. Die sieben Tondichtungen von Holst, der die Planeten Mars, Venus, Merkur, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun musikalisch bedacht hatte, ergänzte er zum einen durch Colin Matthews Stück Pluto – der Planet war noch nicht entdeckt, als Holst seine Partitur schrieb – zum anderen erweiterte er sie durch vier Kompositionsaufträge. Ein Quartett aus Asteroiden sollte für das Doppelalbum entstehen, für die Berliner Philharmoniker frisch geschrieben von Kaija Saariaho, Matthias Pintscher, Mark-Anthony Turnage und Brett Dean.
Der 1961 im australischen Brisbane geborene Brett Dean hatte von 1985 bis 1999 als Bratscher bei den Berliner Philharmonikern gespielt, bevor er beschloss, sich ganz dem Komponieren zu widmen. Er wählte für sein Stück einen Asteroiden aus, der im Andenken an einen sowjetischen Kosmonauten den Namen Komarow trägt. 1967 war Wladimir Michailowitsch Komarow das erste Opfer des Wettlaufs zwischen den USA und der UdSSR um die Eroberung des Weltalls geworden: Er starb, als bei seinem Raumschiff Sojus 1 während des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre das automatische Fallschirmsystem versagte.
Brett Dean hat Komarov’s Fall nach Gustav Holsts Vorbild als traditionelle Tondichtung konzipiert, er erzählt also mit Klängen eine Geschichte, die das Publikum nachvollziehen kann. Zunächst ist da allerdings ein großes Nichts, eine akustische Dunkelheit. Schließlich aber werden erste Signale wahrnehmbar, ganz zart und leise, die aus kaum vorstellbarer Ferne kommen. Daraus entwickelt der Komponist dann eine Musik von »drastischer Dringlichkeit«, die nach den Worten Brett Deans »die verzweifelte Diskussion Komarows mit dem Kontrollzentrum« beschreibt.
Schon kurz nach Erreichen der Umlaufbahn hatte sich herausgestellt, dass die Energieversorgung der Sojus 1 mangelhaft war, weil sich eines der beiden Solarmodule nicht entfaltet hatte. Das Raumschiff konnte darum nicht stabil zur Sonne ausgerichtet werden, und auch das zweite Solarmodul gab nicht genügend Leistung ab. Zudem arbeitete der Kurzwellensender fehlerhaft, eine sichere Verbindung zur Kommandozentrale war also nur über UKW möglich – allerdings nur dann, wenn sich die Sojus 1 auf ihrer Umlaufbahn über dem Staatsgebiet der Sowjetunion befand.
Die Nervosität und auch die Angst des Kosmonauten finden ihren musikalischen Ausdruck in den »durchgängig hörbaren, zerrissenen Sechzehntel-Rhythmen«, beschreibt Brett Dean. In der Mitte des Werkes hat er eine kurze lyrische Passage eingebaut, um das letzte Gespräch von Valentina Komarowa mit ihrem Mann in Töne umzusetzen, als »fiktiven Abschied«. Dann setzt wieder hektische Aktivität ein, der Druck im Orchester steigert sich ins Unerträgliche – bis zur akustischen Explosion. In der folgenden, letzten Minute des Stücks ist schließlich nur noch das Atmen des Alls vernehmbar.