Autor*in: Malte Krasting

Entstehungszeit: 1925-1927
Uraufführung: in der ursprünglichen Fassung am 8. April 1927 in der Academy of Music in Philadelphia, USA, durch das Philadelphia Orchestra, Dirigent: Leopold Stokowski
Dauer: 16 Minuten

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals in der ursprünglichen Fassung am 5. März 1932 unter der Leitung von Nicolas Slonimsky; in der revidierten Version am 21. Juni 1965 mit dem Dirigenten Lukas Foss

Das lateinische Wort »arcana« ist der Plural von »arcanum«, zu Deutsch Geheimnis oder verborgenes Wissen. Unerhörtes im Reich der Musik verspricht der Titel also – typisch für den französischen Komponisten Edgard Varèse, der ständig auf der Suche nach Neuem war. Zugleich steckt darin eine Anspielung auf das Werk von Paracelsus. Dieser Arzt und Alchemist aus dem 16. Jahrhundert verstand unter »arcanum« sinngemäß die verborgenen Kräfte der Natur, die sich nach systematischer Suche erschließen. Es ging ihm dabei auch um die Dosierung, die ein Gift zum Heilmittel machen kann, sowie um eine bestimmte Zusammensetzung des Blutes, mit dessen Hilfe man einen künstlichen Menschen erschaffen könne. Varèse fand die Verbindung reizvoll genug, um der Partitur von Arcana ein Zitat von Paracelsus voranzustellen, das einen Zusammenhang zwischen spekulativer Astronomie und künstlerischer Inspiration herstellt: »Einen Stern gibt es, der ist höher als alle anderen. Es ist der Stern der Apokalypse. Der zweite Stern ist der des Aszendenten. Der dritte ist derjenige der Elemente, von denen es vier gibt, so dass insgesamt sechs Sterne zu zählen sind. Neben diesen existiert jedoch noch ein weiterer Stern, die Fantasie, die einen neuen Stern zeugt und einen neuen Himmel eröffnet.«

Varèse hatte einiges übrig für solch hochfliegende Ideen. Als er nach Studium und ersten Talentbeweisen 1907 von Paris nach Berlin kam, lernte er den deutsch-italienischen Musiker Ferruccio Busoni kennen. Von dessen Essay Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst war Varèse begeistert; darin träumte Busoni von einer ganz anderen Art Musik, losgelöst vom durmolltonalen Harmoniesystem, für Instrumente, die noch nicht einmal erfunden waren. Varèse griff das auf, indem er in einigen Werken Klangerzeuger einsetzte, die man in klassischen Orchestern zuvor noch nicht eingesetzt hatte, in Amériques und Ionisation beispielsweise Sirenen.

Arcana, zwischen 1925 und 1927 komponiert und 1960 überarbeitet, weitet den Blick ins Kosmische. In diesem Stück erforschte Varèse das Reich der Träume, überzeugt davon, dass die Geburt der Kunst aus dem Unbewussten und nicht aus der Vernunft kommt. In seiner Musik sollten sich deren Elemente ihren Weg selbst bahnen: Varèse versuchte bei der Komposition zu erspüren, in welche Richtung sich die von ihm erfundenen Themen bewegen wollten. »Ich war weniger von Komponisten beeinflusst als von Objekten der Natur und physikalischen Phänomenen«, sagte er später, »als Kind war ich ungeheuer beeindruckt von der Beschaffenheit und dem Wesen des Granits im Burgund, wo ich oft meinen Großvater besuchte«. Dies Materialhafte auf der einen Seite und das Spirituelle auf der anderen sind die Pole, zwischen denen sich seine Musik aufspannt. Im Wechsel von Konkretem und Visionärem kehren die anfangs vorgestellten Themen ein ums andere Mal ganz oder in Teilen wieder, steigern sich in Wellen zu höchster Anspannung und stürzen in katastrophischen Zusammenballungen ab. Die Apokalypse ist immer nah. Ganz am Schluss wendet sich die Musik ins mysteriös Himmlische.