Autor*in: Susanne Stähr

Entstehungszeit: 1868-1869
Uraufführung: 3. April 1869 im Kopenhagener Tivoli unter der Leitung von Holger Simon Paulli und mit dem Solisten Edmund Neupert
Dauer: 30 Minuten

  1. Allegro molto moderato
  2. Adagio –
  3. Allegro moderato molto e marcato – Quasi presto – Andante maestoso

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 12. Dezember 1884, Dirigent: Karl Klindworth,Solist: Fritz Schousboe

Im Oktober 1858 zog der 15-jährige Edvard Grieg aus seiner norwegischen Heimat nach Leipzig, um Musiktheorie und Klavier zu studieren. Die Atmosphäre in der großen Messestadt bedrückte ihn, der strenge Unterricht am Konservatorium sagte ihm wenig zu. Aber ein Erlebnis blieb ihm unvergesslich: Grieg durfte im Gewandhaus Robert Schumanns Klavierkonzert hören, mit Clara Schumann, der Witwe des Komponisten, als Solistin! 

Zehn Jahre später, als er sein eigenes Klavierkonzert komponierte, stand Schumanns Werk unüberhörbar Pate, und das nicht nur, weil Grieg dieselbe Tonart a-Moll wählte. Gerade der Anfang erscheint fast wie eine Stilkopie. Schumann eröffnet sein Konzert mit einem Tuttischlag des Orchesters, und dann stürzt sich der Solist oder die Solistin mit Akkordkaskaden todesmutig in die Tiefe. Grieg macht fast dasselbe – setzt aber noch einen drauf. Er beginnt mit einem Paukenwirbel, ganz wie im Zirkus, bevor der »Tastentiger« durch den brennenden Reifen springt.

Spektakulärer lässt sich ein Anfang kaum gestalten. Doch Grieg kommt danach schnell mit seinem Hauptthema zur Sache. Der Rhythmus ist zwar marschartig, doch soll es dolce, sanft und zart, vorgetragen werden. Vor allem hat es eine Couleur locale, es klingt rhapsodisch und nordisch gefärbt. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn das Klavier frei darüber fantasiert. Ähnlich wie in Griegs Lyrischen Stücken für Klavier solo scheinen bald verschiedenste Fabelwesen aufzutauchen: Elfen und Trolle, die mit schnellen Vorschlagnoten kichern oder mit großen Sprüngen über die Wipfel der Bäume flattern.

Grieg ist aber nicht nur ein Meister des Charakterstücks – er ist auch ein begnadeter Lyriker. Im zweiten Satz, im Adagio, lässt er die Streicher ein schier endloses Thema anstimmen: eine ruhevolle, schlichte Weise, die beseligend klingt. Anschließend darf das Soloklavier sie mit Quintolen, Sextolen und allerlei Verzierungen liebevoll umranken. Grieg selbst muss ein hervorragender Pianist gewesen sein und war bei diesem langsamen Satz ganz in seinem Element. Der Wiener Großkritiker Eduard Hanslick, der ihn mit seinem Klavierkonzert hörte, bescheinigte seinem Spiel eine »bezaubernde Weichheit und Anmut«.

Allerdings konnte Grieg auch anders – und das zeigt er im Finale, wenn er den rustikalen Rhythmus des Halling aufgreift, eines norwegischen Springtanzes. Zeitweilig lässt er dabei Solo und Tutti gegeneinander stampfen, das Klavier auf die betonte Taktzeit, das Orchester auf die unbetonte. Dennoch gönnt uns Grieg auch in diesem musikantischen und folkloristischen Finale eine Ruhepause. 

Dann präsentiert er eine verinnerlichte Episode, als Lobpreis auf die Schöpfung: Die Soloflöte trägt die Melodie in höchsten Höhen vor, und darunter wispert in den Streichern mystisch die Natur. Es sind diese rhapsodischen Wechsel zwischen Träumerei und Triumph, zwischen bravouröser Virtuosität und schlichter Liedhaftigkeit, die Griegs Klavierkonzert so einzigartig machen. Nur er selbst zweifelte daran, ob er wirklich ein großer Künstler sei. »Meine Musik wird in hundert Jahren vergessen sein«, behauptete er einmal. Sein Klavierkonzert – und nicht allein das – hat ihn glänzend widerlegt.