Entstehungszeit: 1914-1916
Uraufführung: 29. September 1918 in einem nicht öffentlichen Konzert in der New Queen’s Hall, London, Dirigent: Sir Adrian Boult; erste öffentliche Aufführung am selben Ort am 15. November 1920 mit dem London Symphony Orchestra, Dirigent: Albert Coates
Dauer: 53 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals vermutlich am 18. Dezember 1922, Dirigent: Eugène Goossens
Warum er die Erde ausgelassen hat, wird immer sein Geheimnis bleiben. Dass Pluto fehlt, ist dagegen logisch – der äußerste Planet unseres Sonnensystems wurde erst 1930 entdeckt, zwölf Jahre nach der Uraufführung von Gustav Holsts bekanntester Komposition. Der enorme Erfolg, den Die Planeten sofort errangen, erschreckte den Komponisten selbst. Aus dem Plan, ein avantgardistisches Werk nach dem Vorbild von Arnold Schönbergs Fünf Orchesterstücken zu schreiben, war ein Publikumshit geworden. Mit nachhaltigster Wirkung: Bis heute inspiriert diese Orchestersuite jeden, der Musik für Filme schreiben soll, die im Weltraum spielen.
1913, während eines Sommerurlaubs auf Mallorca, hatte sich der eigentlich gar nicht esoterisch veranlagte Komponist von einem Freund für die Astrologie begeistern lassen. Holst besorgte sich das Buch Was ist ein Horoskop und wie wird es berechnet? von Alan Leo, begann, selbst Vorhersagen zu verfassen – und widmete sein nächstes Projekt den Sternen. Eine Serie von sieben Tondichtungen entstand, Holst ließ sich von den »Charaktereigenschaften« leiten, die Astrologen den jeweiligen Sternen zuschreiben – beziehungsweise jenen Personen, die unter ihrem Einfluss geboren werden.
Für Simon Rattle sind Die Planeten eine »sehr europäische Komposition«. Denn Holst kannte sich aus mit der Neuen Musik seiner Zeit: Da klingt der wilde, archaische Igor Strawinsky ebenso an wie die instrumentale Opulenz eines Richard Strauss, aber auch französische Impressionisten wie Maurice Ravel, Claude Debussy und Paul Dukas haben Spuren hinterlassen. Dennoch wirken Die Planeten nie epigonal, Holst fand eine eigene, faszinierende Klangsprache für sein extraterrestrisches Sujet. Wie neuartig die Klangmischungen damals wirkten, lässt sich aus heutiger Perspektive allerdings nicht mehr so leicht nachempfinden – weil sie unseren Ohren aufgrund der unzähligen Filmmusiken à la Holst so selbstverständlich erscheinen.
Gleich das Eröffnungsstück ist das am häufigsten kopierte: »Mars, der Kriegsbringer«. Zu Beginn müssen die Streicher col legno spielen, also mit ihren Bögen auf die Saiten schlagen, der ganze Satz klingt, als würden hier die Schrecken des Ersten Weltkrieges beschrieben. Doch Holst hatte den »Mars« bereits im Sommer 1914 vollendet. Außerdem ist der dominierende Marsch geradezu subversiv: Mit seinem ungewöhnlichen 5/4-Rhythmus würde er jeden Soldaten aus dem Tritt bringen. Eine mystische Atmosphäre schuf Holst für Venus, die Friedensbringerin. Sanft pulsiert das Orchester, das Hauptmotiv hat einen sinnlich-emphatischen Aufschwung, Soloinstrumente treten betörend hervor, erst die Geige, dann Oboe und Cello. Wie ein klassisches Scherzo kommt anschließend Merkur daher, der geflügelte Bote: luftig leicht, quecksilbrig. Lieblingsstück des britischen Publikums war stets »Jupiter«. Der Satz wurde patriotisch gehört, als »nostalgischer Blick auf ein England, das es so nie gegeben hat«, wie Simon Rattle sagte. Die Melodie des langsamen Teils entwickelte ab 1921 ein Eigenleben, als Holst sie unter dem Titel »I Vow to Thee, My Country« als Choral veröffentlichte. Er wurde oft bei Begräbnissen gesungen, so auch bei den Trauerfeiern für Prinzessin Diana und Queen Elizabeth II. Saturn bringt bei Holst das Alter mit sich – aber die Musik erzählt nicht von Erschöpfung, sondern von innerer Ruhe, nicht von Gebrechlichkeit, sondern von Weisheit, wenn sie mit bedächtigem Tempo zielstrebig voranschreitet. Uranus ist der Magier unter den Sternen: Immer wieder scheinen die Blechbläser eine Zauberformel zu intonieren, Luftgeister flitzen durchs Bild, dann entwickelt sich eine Art Hexensabbat. Und dann das Finale mit Neptun: Hier betrat der Komponist Neuland, alles wirkt schwerelos, irreal, sphärisch. Mit den wortlosen Vokalisen des Frauenchores, der hinter der Bühne pianissimo singt, entschwindet diese Orchestersuite endgültig in unendliche Weiten.