Entstehungszeit: 1885-1888
Uraufführung: 20. November 1889 im Ungarischen Königlichen Opernhaus Budapest unter der Leitung des Komponisten (Frühfassung)
Dauer: 50 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 16. März 1896, Dirigent: Gustav Mahler
»So! Mein Werk ist fertig! … Wie mit einem Schlag sind alle Schleusen in mir geöffnet«, schrieb Gustav Mahler im März 1888 an seinen Jugendfreund Friedrich Löhr. Am Beginn dieses Jahres komponierte er den größten Teil seiner Ersten Symphonie in nur sechs Wochen. Schon damals war dem Komponisten klar, dass die Symphonik die für ihn bestimmende Gattung war: »Meine ganze Art weist mich auf die Symphonie« – heißt es lapidar-bekenntnishaft in einem Brief aus jener Zeit. Der unverwechselbare Mahler’sche Ton ist bereits in diesem Werk voll ausgeprägt: die über das rein Musikalische hinausweisende Sprachhaftigkeit der Musik, das sprunghafte Changieren zwischen emotionalen Extremen, das Nebeneinander von unterschiedlichsten musikalischen Idiomen, Tragik und Groteske, Volksliedton und strengem musikalischen Satz.
Lange beschäftigte Mahler die Bezeichnung des Werkes. Die »Symphonische Dichtung in zwei Abtheilungen«, so der ursprüngliche Titel, bestand noch aus fünf Sätzen. Für eine Aufführung in Hamburg 1893 versah er sein Opus außer mit dem auf Jean Pauls Roman verweisenden Titel »Titan« mit einem ausführlichen Programm. Als »Tondichtung in Symphonieform« bezeichnete Mahler das Werk zu jener Zeit. Die Teile und Sätze benannte er wie folgt: »1. Theil ›Aus den Tagen der Jugend‹, Blumen-, Frucht- und Dornstücke – I. ›Frühling und kein Ende‹ – Die Einleitung stellt das Erwachen der Natur aus langem Winterschlaf dar – II. ›Blumine‹ – III. ›Mit vollen Segeln‹ – 2. Theil ›Commedia humana‹ –
IV. ›Gestrandet!‹ (ein Todtenmarsch in ›Callot’s Manier‹).« Dieses Programm hat Mahler für die vierte Aufführung in Berlin gestrichen und auch nicht in die gedruckte Fassung übernommen; der »Blumine« überschriebene zweite Satz entfiel ebenfalls.
Die für ihn so typische Verschränkung der Gattungen Lied und Symphonie zeigt sich bereits im Kopfsatz. Im Zentrum steht die symphonisch-instrumentale Fassung des Liedes »Ging heut’ morgen übers Feld« aus dem Zyklus Lieder eines fahrenden Gesellen. Die Sonatenform bleibt zwar nachvollziehbar, bildet aber lediglich das äußere Gerüst. Weitere wichtige thematische Gebilde sind eine melancholische Melodie der Celli sowie ein marschartiges Motiv der Horngruppe. Der zweite Satz wirkt wie ein leicht ironisches Gegenstück zum »Lustigen Zusammensein der Landleute« aus Beethovens »Pastoralsymphonie«. In seiner einfachen, klar gegliederten Struktur und der Betonung des Tänzerischen scheint dieser Satz noch dem Menuett-Typus der klassischen Symphonie verpflichtet. Der dritte Satz knüpft an die Tradition des Trauermarsches an, wie Beethoven ihn einst in seiner »Eroica« zum Zentrum der Symphonie erhoben hatte. Auch der ursprüngliche Titel »Todtenmarsch in ›Callot’s Manier‹« verweist auf diese Sphäre. Doch hier stehen eher die Parodie von Trauer und das Element der Groteske im Mittelpunkt.
Das Thema des Marsches entlehnte Mahler dem bekannten Kanon Bruder Jakob. Doch durch die Wendung nach Moll und die dunkle Instrumentierung mit Bassinstrumenten wird der Charakter des Kanons geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Das Finale ist der gewichtigste Satz der Symphonie, strukturell und inhaltlich ebenso wie in den Ausmaßen. Es sind vor allem drei Elemente, die sich in dem Geflecht von Themen und Motiven in diesem Satz ausfindig machen lassen: der äußerst scharfe Kontrast zwischen erstem und zweitem Thema, die thematischen Rückgriffe auf den Kopfsatz der Symphonie und der groß angelegte Durchbruch zur Grundtonart D-Dur, der schließlich in einen jubilierenden Choral mündet. Mahler selbst hat das Ende der Geschichte seines Titanen so formuliert: »Erst im Tode – da er sich selbst besiegt hat und der wundervolle Anklang an seine Jugend mit dem Thema des ersten Satzes wieder auftaucht – erringt er den Sieg.«