Entstehungszeit: 1852
Uraufführung: 27. Oktober 1853 in Leipzig durch das Gewandhausorchester unter Leitung von Ferdinand David mit dem Komponisten als Solist
Dauer: 22 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 28. Dezember 1905, Dirigent: Georg
Schumann, Solist: Alexander Sebald
Darüber ist sich die Fachwelt einig: Henryk Wieniawskis Erstes Violinkonzert ist eines der schwierigsten überhaupt, ein echter »Fingerbrecher«, der grifftechnisch, aber auch bei der Bogenführung das Äußerste abverlangt. Erst 17 Jahre zählte Wieniawski, als er es 1852 komponierte, und doch war er damals schon so etwas wie ein »alter Hase«. Mit sieben Jahren hatte er in seiner polnischen Heimat sein erstes öffentliches Konzert gegeben, mit dreizehn nahm er seine internationale Reisetätigkeit auf. Und stieß sofort auf große Resonanz: Nachdem der »Teufelsgeiger« Niccolò Paganini 1840 verstorben war, fieberte das musikalische Europa nach einem legitimen Nachfolger – und fand ihn in dem jungen polnischen Virtuosen, der rastlos konzertierte. Da Wieniawski dabei seine besonderen Fertigkeiten unter Beweis stellen wollte, schuf er für sich selbst das passende Repertoire. Wie das fis-Moll-Konzert, das am 27. Oktober 1853 mit dem Leipziger Gewandhausorchester unter Ferdinand David seine Uraufführung feierte: ein Werk, das sich außer dem Komponisten selbst niemand so schnell zu spielen getraute.
Dabei fängt alles ganz wie gewohnt an, mit einer Orchestereinleitung von etwa drei Minuten, in der die beiden Hauptthemen vorgestellt werden: Zunächst stimmt die Klarinette, dann die Oboe einen melancholischen Gedanken an, der anschließend vom Tutti aufgegriffen wird. Danach folgt das lyrische zweite Thema mit sehnsuchtsvollem Melos, bei dem sofort klar wird, warum Wieniawski gerne mit Chopin verglichen wurde. Man denkt: Wunderbar, so könnte es jetzt ewig weitergehen, doch mit dem Einsatz des Soloparts beginnt ein neues Kapitel. Die Geige betritt mit vertrackten Doppelgriffen die Szene, die durch den scharf punktierten Rhythmus besonders hakelig zu spielen sind. Motivisch prägen die beiden Hauptthemen das Geschehen. Sie werden von der Violine aber atemberaubend umspielt, variiert und figuriert. Wieniawski schwingt sich in die höchsten Höhen auf, er wagt verwegene Sprünge und präsentiert furchterregende Doppelgriffläufe. Das Orchester dagegen beschränkt sich fortan darauf, der Diva Violine ein komfortables Klangbett zu bereiten.
Ganz anders der folgende langsame Satz, den Wieniawski mit »Preghiera« überschrieben hat. Er folgt dem Muster der damals modischen Gebetsszenen aus Opern wie etwa Rossinis Otello oder Webers Freischütz. Entsprechend gibt sich die Sologeige hier als Sängerin, die mit tiefer Empfindung eine verinnerlichte, schlichte Weise anstimmt. Interessanterweise führt Wieniawski ihren Part dabei ausschließlich durch die tiefere Lage – nichts Aufgesetztes, Gekünsteltes oder Exaltiertes ist da zu hören, sondern Musik, die aus dem Herzen kommt. Doch mit dem Finale, einem Rondo, unternimmt Wieniawski noch einmal eine Kehrtwende. Dort zündet er ein tänzerisches Feuerwerk »alla polacca«, mit punktierten Rhythmen, und lässt die Violine in zwitschernde Höhen flattern. Allein in den Episoden, die dem Refrain-Thema zwischengeschaltet sind, geht es gesanglich zu, allerdings auch hochvirtuos, denn Wieniawski demonstriert noch einmal, wozu sein Instrument – oder besser: er selbst – imstande ist.