Entstehungszeit: 1896-1939
Uraufführung: 13. April 1896 in Helsinki durch das Orchester der Philharmonischen Gesellschaft unter der Leitung des Komponisten
Dauer: 48 Minuten
Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 20. Dezember 1910 in Auszügen (Der Schwan von Tuonela), Dirigent: Leonid Kreutzer; erste vollständige Aufführung der Suite im Mai 2001, Dirigent: Esa-Pekka Salonen
Spätestens als Mitte des 19. Jahrhunderts die erweiterte, maßgebliche Ausgabe von Elias Lönnrots Kalevala – einem Epos, das auf mündlich überlieferter finnischer Mythologie beruht – erschienen war, hatten die Finnen die Gründungsurkunde ihrer Nationalkultur in der Hand. Jean Sibelius gehörte zur ersten Künstlergeneration, die auf dieser Basis in ihrem Schaffen die politische und sprachliche Selbstfindung und Emanzipation des finnischen Volkes begleiteten. Zu den überzeugten sogenannten »Fennomanen« gehörte auch Sibelius’ Frau Aino Järnefelt, die ihn darin bestärkte, dezidiert »finnische« Werke zu komponieren – auch wenn schwer zu definieren war, was das eigentlich war, denn eine finnische Kunstmusik wurde ja gerade erst begründet.
Schon für sein erstes symphonisches Werk, Kullervo, griff Sibelius einen Stoff aus der Kalevala auf; das Stück machte ihn auf einen Schlag zu einem wichtigen Akteur im Musikleben seines Landes. Nach der symphonischen Dichtung En Saga und der Karelia-Suite richtete Sibelius seine Gedanken auf ein größeres Projekt. Er wollte eine Kalevala-Oper schreiben, Der Bootsbau betitelt: Der alte Väinämöinen versucht, allein kraft seiner Lieder ein Boot aus Holzsplittern zu bauen und so die Liebe der Mondtochter Kuutar zu gewinnen. Aufführungen von Wagner-Opern, die Sibelius im Sommer 1894 in Bayreuth und München besucht hatte, bestärkten ihn zunächst in seinem Plan, nahmen ihm aber letztlich doch den Mut, sich im Musiktheater zu betätigen – zu überwältigend schien ihm das Vorbild.
Die Idee einer neuen Kalevala-Musik hingegen blieb bestehen, wenn auch an eine andere Episode des Epos anknüpfend, jene um den forschen Helden Lemminkäinen. Nach den Sommerferien 1895 hatte Sibelius den Plan skizziert und bis Anfang des folgenden Jahres, reichlich Material der aufgegebenen Oper benutzend, vier zusammengehörige Tondichtungen komponiert. Diese fügen sich fast zu einer Symphonie, waren aber von Anfang an auch dazu gedacht, einzeln aufgeführt zu werden. Nach mehrfacher Überarbeitung und lange hinausgezögerter Veröffentlichung gab Sibelius ihnen den Gesamttitel Vier Legenden aus dem finnischen Volksepos »Kalevala«.
Lemminkäinen ist so etwas wie der finnische Don Juan, mit einer Beimischung des griechischen Kriegers Achilleus. Freundliche Übersetzungen bezeichnen ihn als »munteren Burschen«, andere nennen ihn »Leichtfuß« und »Schlingel«. Unverschämt gutaussehend zerschlägt er in seinem Draufgängertum manches Porzellan, und wenn es um Frauen geht, kennt er kein Halten mehr. Auf der Insel Saari lebt die schöne Kyllikki, der niemand, der um sie wirbt, gut genug ist. Auftritt Lemminkäinen – während sich alle anderen Mädchen der Insel gern mit ihm einlassen, weist ihn Kyllikki standhaft ab. Kurzerhand entführt er sie, und nachdem beide miteinander einen Pakt geschlossen haben – er zieht nicht mehr in den Krieg, sie bleibt brav daheim und geht nicht tanzen – hat sie gegen eine Heirat nichts mehr einzuwenden.
Nachdem sie aber doch das Dorffest besucht, sieht er sich nicht mehr an seinen Eid gebunden und beschließt, sich um eine noch begehrenswertere Frau zu bemühen: die legendäre Nordlandstochter. Deren Mutter Louhi stellt ihm übermenschliche Aufgaben. Die ersten zwei erledigt er, doch als er den Schwan vom Totenreich Tuonela mit seinem Pfeil erschießen soll, gerät er in einen Hinterhalt, wird von einem Widersacher erschlagen und von Tuoni, dem Herrscher der Unterwelt, zerstückelt in den Fluss geworfen. Lemminkäinens Mutter erfährt davon, fischt die Leichenteile ihres Sohnes aus dem Wasser und setzt ihn wieder zusammen. Dank Zaubersprüchen wiederbelebt, kann Lemminkäinen frohgemut heimkehren. Den Protagonisten und seine mehr oder weniger wahrscheinlichen Abenteuer hat Sibelius als Inspiration genommen, ohne Lönnrots Verse Wort für Wort instrumental zu illustrieren: Allzu nahe Parallelen von Musik und Handlung hat der Komponist stets zurückgewiesen. Seine Absicht war, die Stimmung der Situationen wiederzugeben, und darin fand er seinen eigenen, ganz unverwechselbaren Ton.