Entstehungszeit: 1903-1905
Uraufführung: 13. März 1934 unvollständige Radioübertragung,
18. September 1934 vollständige Radioübertragung
durch Radio Brünn, Tschechien; 25. Oktober 1958
szenische Uraufführung in Brünn, Dirigent: František
Jílek
Dauer: 20 Minuten
Leoš Janáček gehört zu den originellsten Neuerern der frühen Moderne. Seine Opern werden an allen wichtigen Häusern inszeniert. Für Orchester hingegen hat der Mann aus Mähren auffallend wenig hinterlassen. Die Suite aus Osud (Schicksal) hilft daher einem Mangel ab. Dass sie gleichwohl nur Insidern bekannt ist, liegt wohl daran, dass das Musiktheaterwerk selbst als ein Stiefkind unter Janáčeks Schöpfungen gelten muss. Entstanden zwischen 1903 und 1907, hätte Osud in Brünn zur Uraufführung kommen sollen, doch der Komponist wünschte sich eine Produktion in Prag. Als diese nicht zustande kam, verschwand das als theatralisch undankbar geltende Stück in der Schublade. 1934 wurden beim Brünner Rundfunk die ersten beiden Akte konzertant einstudiert, erst 1958 fanden die szenischen Premieren in Brünn und Stuttgart statt.
Dafür nahm František Jílek (1913–1993), Dirigent der tschechischen Produktion, relativ drastische Umstellungen der Handlungschronologie vor. Seine Auskopplung markanter musikalischer Partien zu einer kompakten Suite behält die veränderte Abfolge bei. So setzt die Partitur mit dem Vorspiel zum dritten Akt der Oper ein und reiht die Partien im Stil einer freien Fantasie aneinander. Turbulente Walzer, derbe mährische Volksweisen und sehnsuchtsvolle ariose Aufschwünge verbinden sich zu einem »Operettenstil à la Janáček«, der, so der französische Dirigent Sylvain Cambreling, die Oper im Ganzen auszeichnet. Deutlich hörbar wird die kühne Instrumentationsweise des Komponisten vor allem beim Umschalten zwischen sehr dichten und beinahe spärlichen Texturen.
Handlung und Hintergrund von Osud (»Schicksal«) sind einigermaßen skurril. Janáček ließ sich zu seiner Oper von einer Begegnung im mährischen Kurort Luhačovice im Sommer 1903 anregen. Kamila Urválková, eine längst verheiratete Dame, beklagte sich bei ihm darüber, dass ihr früherer Freund, der Komponist Ludvik Čelanský, sie in einer Oper mit dem Titel Kamila bloßgestellt habe. Janáček versprach seiner neuen Bekannten Genugtuung: In Anlehnung an ihre Erlebnisse skizzierte er eine Handlung, die Schullehrerin Fedora Bartošová verfasste das Libretto. Protagonist von Osud ist der Komponist Živný, der seine eigene tragische Liebesgeschichte zu einer Oper verarbeitet. Der Kurpark eines Badeorts bildet den Rahmen des ersten Aktes. Hier trifft Živný seine einstige Geliebte Mila wieder, die, wie er nun erfährt, einen kleinen Jungen von ihm hat. Im Gefolge einer Intrige von Milas Mutter hatte das Paar sich einst getrennt. Im zweiten Akt sind Mila und Živný seit vier Jahren verheiratet und Živný komponiert gerade seine Oper. Aber die inzwischen geistig verwirrte Mutter entzweit die beiden Liebenden erneut: In einem Handgemenge stürzen Mutter und Tochter vom Balkon in den Tod. Der dritte Akt findet während der Proben zu Živnýs Oper statt. Nach und nach enthüllen sich den Ausführenden die Parallelen zwischen der scheinbar fiktiven Handlung des Stücks und dem Leben seines Autors.