Von: Malte Krasting

Entstehungszeit: 1803-1808
Uraufführung: 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien in einem Konzert unter der Leitung des Komponisten
Dauer: 40 Minuten

  1. Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. Allegro ma non troppo
  2. Szene am Bach. Andante molto mosso
  3. Lustiges Zusammensein der Landleute. Allegro
  4. Gewitter, Sturm. Allegro
  5. Hirtengesang, frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Allegretto

Bei den Berliner Philharmonikern:
erstmals am 30. April 1883, Dirigent: Karl Klindworth

»Kein Mensch kann das Land so lieben wie ich«, versicherte Ludwig van Beethoven seiner Freundin Therese Malfatti in einem Brief vom Mai 1810: »Wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können.« Seiner Liebe zur Natur hat er auch musikalisch Ausdruck verliehen, vor allem mit den Klängen seiner Sechsten Symphonie. Die »Pastorale« wurde gleichzeitig mit der so gegensätzlich anmutenden Fünften Symphonie konzipiert und sogar im selben Konzert am 22. Dezember 1808 uraufgeführt. Das war kein Zufall. In der »Schicksalssymphonie« geht es um die Befreiung aus großer Gefahr; in höchster Bedrängnis wird das Schicksal durch eigene Kraft überwunden. Davon handelt ihr »pastorales« Schwesternwerk im Gewande einer ländlichen Idylle kaum weniger: Die zwei Symphonien sind unter der so verschieden gearteten Oberfläche bis in den kompositorischen Bauplan hinein miteinander verwandt. Beide beginnen beispielsweise mit einer Anfangsgeste, bei der die Musik nach einer ersten Phrase, die sich bald als Keimzelle des Ganzen erweist, kurz innehält, bevor sie für eine längere Strecke Fahrt aufnimmt.

Gerühmt wie gescholten wurde die vom Komponisten als »Sinfonia caracteristica« bezeichnete »Pastorale« allerdings wegen ihrer plastischen Schilderung von Naturereignissen. Schon Beethovens Zeitgenossen redeten sich die Köpfe über diese Nachahmungen heiß, über die Rufe von Nachtigall, Wachtel und Kuckuck am Schluss des zweiten oder Regen, Donner und Blitze im vierten Satz, und stritten darüber, ob so etwas im Kontext einer seriösen Symphonie legitim sei. Entscheidend aber ist nicht die Kongruenz des akustischen Abbilds mit der Vorlage – so etwas konnten auch schon Beethovens Vorgänger im 17. Jahrhundert oder ein Carl Ditters von Dittersdorf und sein Lehrer Joseph Haydn. Beethovens Absicht war eine andere, betont Kirill Petrenko, er wollte »in erster Linie zeigen, was wir empfinden, wenn wir Vögel hören oder welche Angst wir haben, wenn ein Sturm aufkommt. Das ist bereits ein Vorgriff auf die Romantik« – oder, in Beethovens Worten, »mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei«.

Der erste, dritte und fünfte Satz geben kaum oder gar keine Naturlaute wieder, sondern zeichnen die Wirkung der Natur auf den Menschen und seine Reaktionen darauf nach, bis hin zur nachsichtig humorvollen Darstellung einer Musikantenkapelle im dritten Satz, deren Oboe im zweiten Thema beharrlich ein Viertel zu früh einsetzt. Der auf diese dörfliche Festidylle folgende bedrohliche Einbruch höherer Gewalt in Gestalt eines Gewitters erzwingt einen eigenen Abschnitt und damit die Erweiterung der symphonischen Form auf fünf Sätze, wobei Beethoven durch den Kunstgriff, die letzten drei Sätze unmittelbar ineinander übergehen zu lassen, einen unwiderstehlichen Fluss erzeugt. Der Dank im »Hirtengesang« am Schluss ist kein Jubel. Diese nach innen gewandte Hymne klingt erfüllt von Demut und einem Bewusstsein für die Eigenverantwortung jedes einzelnen: Von einem Unwetter verschont geblieben zu sein, bedeutet, sich und die Allgemeinheit für das nächste zu wappnen.

Die Natur bot Beethoven Zuflucht vor zudringlichen Zeitgenossen, eine geschützte Umgebung, in der ihn seine Gebrechen weniger quälten als in der Stadt: »Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht.« Allein in der Natur zu sein, war für ihn als Künstler, der zur Menschheit sprechen wollte, eben kein Paradox, sondern die Suche nach einer Utopie – »Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht«. Das Landleben war ihm Inbegriff einer den Menschen einbeziehenden, alles umfassenden Welt. Vor allem spürte er eine Nähe zur Schöpfung: »Allmächtiger im Walde! Ich bin selig, glücklich im Walde: jeder Baum spricht durch dich. O Gott! welche Herrlichkeit! In einer solchen Waldgegend, in den Höhen ist Ruhe, ruhe, ihm zu dienen.« Das war ein Glaube, der nicht nachbetete, was gepredigt wurde, sondern der sich als Verpflichtung für die Menschheit und für die Natur, die dem Menschen seine Existenz erst ermöglichte, verstand.