Autor*in: Harald Hodeige

Entstehungszeit: 1933-1934
Uraufführung: 12. März 1934 durch die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler
Dauer: 26 Minuten

  1. Engelkonzert. Ruhig bewegt – Ziemlich lebhafte Halbe
  2. Symphonie »Mathis der Maler«: Grablegung
  3. Versuchung des heiligen Antonius. Sehr langsam, frei im Zeitmaß - Sehr lebhaft

»In fahler Dämmerung ragts furchtbar in die Höhe: der Christ an seinem Kreuz. Ein roher Stamm, quer darauf ein halb entrindeter Ast, der sich biegt unter der Last wie ein gespannter Bogen und hinaufschnellen möchte wie aus verkrampftem Mitleid und das armselige Fleisch gen Himmel schleudern, hinweg von diesem schmachgetränkten Boden, der es noch hält, fest mit riesigen Nägeln.« Soweit die Beschreibung von Matthias Grünewalds Tauberbischofsheimer Altar in Joris-Karl Huysmans Roman Là-bas (»Tief unten«) von 1891, der die Wiederentdeckung des Renaissance-Malers einleitete. Nach einem Besuch von Grünewalds Isenheimer Altar in Colmar bekannte der französische Schriftsteller: »Verglichen mit diesem Tosen, dieser Unbändigkeit erscheint alles andere tonlos und fade. Man verlässt Grünewald und bleibt auf ewig in seinem Bann.« Expressionisten wie Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Emil Nolde und Max Beckmann ließen sich von Grünewalds Malerei inspirieren, ebenso wie Vertreter der Neuen Sachlichkeit, unter ihnen George Grosz und Otto Dix. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhielt die Grünewald-Rezeption weiteren Auftrieb – als Ausdruck des Widerstands. 1937, in dem Jahr, in dem Paul Hindemith die Arbeiten an seiner Grünewald-Oper Mathis der Maler abschloss, vollendete Dix sein Gemälde Die Versuchung des heiligen Antonius, das zusammen mit seinen Sieben Todsünden von 1933 einen Höhepunkt der antifaschistischen Grünewald-Rezeption bildet: grauenhafte Höllenvisionen als Abbild der realen Gegenwart. Grünewalds Malerei schien vorauszunehmen, was noch kommen sollte, weshalb bereits Elias Canetti nach seinem ersten Besuch des Isenheimer Altars 1927 schrieb: »Alles Entsetzliche, das bevorsteht, ist hier vorweggenommen. Der Finger des Johannes, ungeheuerlich, weist darauf hin: das ist es, das wird es wieder sein.«

In dieser anti-nationalsozialistischen Grünewald-Rezeption steht auch Hindemiths Oper Mathis der Maler. Nachdem Wilhelm Furtwängler 1932 anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Berliner Philharmoniker Hindemiths Orchesterwerk Philharmonische Konzert mit gewaltigem Erfolg uraufgeführt hatte, gab er ein weiteres Werk bei dem Komponisten in Auftrag. Hindemith entschloss sich, drei instrumentale Abschnitte aus dem sich noch in Arbeit befindlichen Bühnenwerk als Symphonie auszukoppeln, wobei sich die drei Sätze direkt auf den Isenheimer Altar beziehen. »Mit musikalischen Mitteln wird versucht«, so der Komponist im Programmheft der Berliner Uraufführung, »demselben Gefühlszustand nahezukommen, den die Bilder im Beschauer auslösen.«

Der Kopfsatz, »Engelkonzert«, bezieht sich auf die linke Hälfte des zentralen Weihnachtsbildes, auf dem Engel in prächtigen Gewändern musizieren. Die Musik verströmt lichte Mystik, wobei nach wenigen Takten die Posaunen die choralartige Melodie des Volksliedes »Es sungen drei Engel« zitieren. Der auf dem Sockel abgebildeten »Grablegung« ist der zweite Satz gewidmet: eine schmerzverlorene Trauermusik. Am Ende erklingt mit der »Versuchung des heiligen Antonius« (rechtes Altarbild) ein kontrastreiches Finale, das nach dämonischen Orchesterausbrüchen samt angriffslustigen Schlagzeugattacken den Sieg des Geistes über alles Irdische feiert.